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Nach 13 Jahren Streit sind die «Fäuste» gefallen

Halle/MZ. - Einen weiten Bogen wischtdie Hand über die Landschaft. "Ruhig weg mitdem Quatsch", sagt Günther Schmuhl, "dannhabe ich endlich eine bessere Aussicht." Dienämlich ist schon versaut gewesen, als derheute 69-Jährige vor 32 Jahren gegenüber einzog."Da war das Ding nagelneu", erinnert sichSchmuhl, "und dann hat man sich so ...

Von Steffen Könau 24.07.2003, 08:57

Einen weiten Bogen wischtdie Hand über die Landschaft. "Ruhig weg mitdem Quatsch", sagt Günther Schmuhl, "dannhabe ich endlich eine bessere Aussicht." Dienämlich ist schon versaut gewesen, als derheute 69-Jährige vor 32 Jahren gegenüber einzog."Da war das Ding nagelneu", erinnert sichSchmuhl, "und dann hat man sich so eingeguckt."

Man kannte es ja nicht anders all dieJahre. Da war der Platz mit dem Kreisverkehram halleschen Bahnhof, das Hochhaus-Tor zurNeustadt und direkt davor das nur "die Fäuste"genannte "Monument der Arbeiterbewegung":Ein 15-Meter-Klotz aus 300 Tonnen Beton, ausdem sich vier geballte Hände zornig in denHimmel recken. 33 Jahre ließ das Monument,geliebt nur von den Stadttauben, keinen Zweifelan seiner Botschaft. Arbeiterfäuste, panzerhart!

Am Donnerstagmorgen kurz nach sechs allerdingskam Marco Bauer. 33 Jahre alt auch er, 76Kilo vielleicht, 1,75 groß und von Beruf Baggerfahrerbei der Abbruchfirma Todte. "Bis Mittag",sagt Bauer, "dann sind die Dinger Geschichte."Kein Zweifel in dem breiten Lächeln mittenim Arbeitergesicht. "Ich mach das platt, wiressen pünktlich."

All die Kämpfe um die Fäuste, sie sind andiesem Morgen ohnehin längst geschlagen. Wellenförmigtauchte die Frage seit der Wende immer wiederauf. Soll er weg, der hässliche Klotz? Odermuss er stehenbleiben - einmalig wie er ist?Eine Diskussion, die unentschieden stand,bis die Gleise für eine neue Straßenbahnlinienäherrückten. Nun waren Argumente da, dasSchandmal zu kippen: Wo der mächtige MonolithGünther Schmuhl die Sicht verdeckt, soll balddie Bahn zum Bahnhof fahren. Das überzeugteden Stadtrat, das beeindruckte sogar die sonstbei jedem Erkeranstrich eisenharten Denkmalschützer.Nein, keine Protest-Demos an diesem Sommermorgen,als Marko Bauer seine Maschine anwirft. KeineSpruchbänder, keine Faust-Besetzung, wie sieder Alptraum der Stadtverwaltung gewesen seinmag.

Nur Ralf Heckel, einst Erfinder der Ostalgie-Diskound heute Initiator einer Fäuste-Rettungsaktion,hatte am Vorabend noch versucht, gerichtlichgegen die "bilderstürmende Barbarei" vorzugehen,wie er es nennt. Es handele sich bei den "Fäusten"um ein einmaligen Dokument einer untergegangenenEpoche. "Sowas darf man nicht einfach schleifen."

Das glaubt auch Sascha Peters, der gekommenist, "der Schande wenigstens zuzusehen". Hinterihm beißt Bauers Stemmhammer ratternd einerstes Stück aus der ersten Faust. Wasserläuft aus dem Loch wie Blut aus einer Wundeund der Jurastudent kommentiert gallig: "Nunhaben wir vollendete Tatsachen." Hier seieine Stadt dabei, die Fehler der Vergangenheitgedankenlos zu wiederholen. "Dabei müsstendas auch spätere Generationen noch sehen dürfen."

Es hätte ja irgendwo sein können. Ralf Heckelhat Geld gesammelt, Pläne gemacht, die einzelnaufeinandergestapelten Schichten des Denkmalskontrolliert zu trennen und einzeln abzutragen."Dann hätten wir das Ganze später problemlosan einem anderen Platz wieder aufstellen können",sagt der Mann mit dem Ampelmann am Schlips.

Die Stadt Halle aber habe ihn und seineMitstreiter "sauber ausmanövriert": Erst hättensich die Beamten von ihm die Baupläne gebenlassen, deren Vorlage die Denkmalpflege zurBedingung für den Abriss gemacht hatte. "Undals sie die hatten, war die Begeisterung fürunsere Idee fort."

So bleiben nur Staub, Krach und staunendeHallenser, die mit ihren Digitalkameras gekommensind, den Abbruch zu dokumentieren. Zu Dutzendenstehen sie ringsum, lassen die Auslöser klickenund jagen nach fortgeflogenen Fäuste-Brocken.Es ist kurz nach halb elf, als Marco Bauerseinen Bohrhammer in die Jahreszahl 1968 jagt."Ein Stück Geschichte" sei das immerhin, sagtSascha Peters und verzieht das Gesicht. Ringsumbebt der Boden, Armierungsstahl knirscht,Beton bricht wie Papier.

Kurz vor eins greift statt Händen nur nochein Schuttberg in den Himmel. Marco Bauerisst tatsächlich pünktlich. Und Eberhard Hahn,der damals mitgebaut hat am großen Werk undjetzt nebenbei steht, meint knapp: "Die Taubenwerden es vermissen."