1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. MZ-Serie «Lebenswandel»: MZ-Serie «Lebenswandel»: Rentner leisten in vielen Bereichen ehrenamtliche Arbeit

MZ-Serie «Lebenswandel» MZ-Serie «Lebenswandel»: Rentner leisten in vielen Bereichen ehrenamtliche Arbeit

Von Bärbel Böttcher 31.10.2012, 19:33
Artikel vom 31.10.12 Manfred Ruhe freut sich, sein Computerwissen an andere Senioren weiterzugeben.
Artikel vom 31.10.12 Manfred Ruhe freut sich, sein Computerwissen an andere Senioren weiterzugeben. ANDREAS STEDTLER Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Dienstags besuchen sie die Frauen, von denen die meisten aus Afrika kommen, im halleschen Flüchtlingsfrauenhaus. "Wir helfen ihnen, unsere Sprache zu lernen, begleiten sie zum Arzt, gehen mit ihnen Einkaufen, machen mit ihren Kindern Schularbeiten", erzählt Christel Fischer. Auch Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung und viele andere Unternehmungen stehen von Zeit zu Zeit auf dem Plan. "Die Frauen kommen hier her, haben keine Verbindung zu ihren Familien." Sie lebten in einem fremden Land, seien der Sprache nicht mächtig. "Da muss man doch helfen", sagt die Rentnerin. "Wir wollen, dass die Frauen sich hier heimisch fühlen - auch wenn hier nicht ihre Heimat ist."

Christel Fischer hat das Projekt gemeinsam mit Ursula Strowick und Martina Fließ 2007 aus der Taufe gehoben. Die drei Frauen hatten damals gerade aufgehört zu arbeiten, wollten aber nicht nur zu Hause sitzen, sondern noch etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen. Christel Fischer erfuhr damals aus der Zeitung, dass die Freiwilligen-Agentur Halle eine Ausbildung zum Senior-Trainer anbietet. Das sind ältere Menschen, die befähigt werden, gemeinsam mit anderen Menschen in ihrer Region ehrenamtlich etwas auf die Beine zu stellen. Sie nahm an der viermonatigen Schulung teil, bei der unter anderem Kenntnisse über Projektmanagement vermittelt werden, und lernte dort ihre zukünftigen Mitstreiterinnen kennen. Gemeinsam entwickelten die Frauen dann die Idee, mit Migrantinnen und deren Kindern zu arbeiten. "Im Flüchtlingsfrauenhaus wurden wir mit offenen Armen empfangen", sagt die ehemalige Sekretärin, die das Projekt weiterführen will, solange sie kann.

Olaf Ebert, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Sachsen-Anhalt, spricht von einem ganzen Netzwerk ehrenamtlich tätiger Senioren, die viele spannende Projekte in die Tat umgesetzt hätten. "Erfreulicherweise ist das Engagement älterer Menschen in Sachsen-Anhalt gestiegen", sagt er. Das liege ganz sicher auch daran, dass die Älteren in den letzten Jahren stärker ins Blickfeld geraten seien. Es gebe mehr speziell auf sie zugeschnittene Angebote, sich ehrenamtlich zu engagieren. Der Senior-Trainer sei da nur ein Beispiel.

Gleichzeitig sieht Ebert noch viele ungenutzte Potenziale. "Die Älteren sind bislang nicht die größte Gruppe unter den Ehrenamtlichen", sagt er. Aber sie erlangten in der älter werdenden Gesellschaft zunehmende Bedeutung. Da gelte es, sich neue Formen der Ansprache zu überlegen, um noch mehr Menschen jenseits der 60 für ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen. Erfolgversprechend seien beispielsweise die zahlreichen Patenschaftsprogramme - Kulturpaten, Leselernpaten, Familienpaten.

Ältere engagieren sich übrigens vorwiegend in Bereichen, wo sie für andere Menschen da sein können, wo sie das Gefühl haben, weiter gebraucht zu werden. So wie beispielsweise die Hallenserin Gisela Ragutt. Die 69-Jährige, die 2010 an einer Ausbildung zur Engagement-Lotsin teilgenommen hat, hat einen Seniorenbesuchsdienst auf die Beine gestellt, bei dem inzwischen mehr als 20 Frauen aktiv sind. "Wir besuchen ältere, einsame Menschen, erledigen mit ihnen Wege oder sind ganz einfach nur zum Zuhören da." Oftmals seien es auch Ehepaare, von denen einer pflegebedürftig ist, die ihre Dienste in Anspruch nähmen. "Wenn der pflegende Partner mal was für sich selbst tun möchte, dann setzen wir uns eben ein paar Stunden ans Bett", erzählt sie. "Ich habe selbst meinen Mann sechs Jahre lang gepflegt und war froh, wenn ich mal entlastet worden bin."

Gisela Ragutt und ihr Team, die für diese Arbeit übrigens speziell geschult wurden, arbeiten auch mit Wohnungsgesellschaften zusammen. "Wenn die bemerken, dass einer ihrer Mieter Hilfe braucht, wenden sie sich an uns. Es ist schön, dass ich Menschen so helfen kann", sagt die ehemalige Sozialarbeiterin. "Ich hoffe, dass ich selbst auch mal solche Hilfe bekomme, wenn ich Bedarf habe."

Ebert verweist darauf, dass die Freiwilligen-Agentur bei vielen Projekten mit gemeinnützigen Einrichtungen beispielsweise im Sozialbereich zusammenarbeitet. Da gebe es zahlreiche gute Beispiele. Und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wachse die Bedeutung des Ehrenamtes in diesem Bereich.

Dennoch sei das ein zweischneidiges Schwert. "Politiker", so beklagt Ebert, "rufen häufig auch aus Sparzwängen nach dem Ehrenamt. Und da sage ich klar: Ehrenamtliche dürfen nicht zu Ausfallbürgen für einen sich zurückziehenden Sozialstaat werden." Sicher, die Bürger sollten auch selbst Verantwortung für das Zusammenleben übernehmen. "Und wir versuchen, ihnen dafür Möglichkeiten aufzuzeigen und für gute Rahmenbedingungen zu sorgen", fügt er hinzu. Aber sie dürften keine Lückenbüßer sein.

Nun, als Lückenbüßer fühlt sichManfred Ruhe nicht. Den 72-Jährigen aus Rothenburg an der Fulda hat es erst 2007 durch private Kontakte nach Halle verschlagen. Als er die Saale-Stadt kennenlernte, war er begeistert - von der Universität, dem Händelhaus, den Häusern der Gründerzeit, der Saale. Er ließ sich hier nieder. Und da der ehemalige Leiter einer Bildungseinrichtung "immer gern mit Menschen zusammengearbeitet hat", wollte er das auch weiter tun. Auch er ließ sich zum Senior-Trainer ausbilden. Danach hat er verschiedenes ausprobiert - heute leitet er im Bürgerladen in Halle-Neustadt einen Computerkurs für Senioren. "Ich habe das Bedürfnis, mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben." Die Arbeit gebe seinem Leben eine Struktur und er bekomme etwas zurück.

Die Senioren, denen er beispielsweise zeigt, wie sie Fotobücher zusammenstellen können - als Powerpoint-Präsentation mit Ton und Videosequenzen - sind in der Tat dankbar. Die 64-Jährige Monika Augustin, die selbst im Bürgerladen aktiv ist, nutzt ihre neu gewonnenen Kenntnisse unter anderem für kleine Fotoausstellungen im Haus. Und ganz nebenbei sagt sie: "Es ist schön, wenn man in Computerdingen mit den Kindern und Enkeln noch mitreden kann."

"Das Ehrenamt bereichert unsere Gesellschaft, macht sie lebenswerter und liebenswerter, vielfältiger und bunter", sagt Olaf Ebert. Das klingt wie eine Sonntagsrede. Doch wer sieht, wie gerade Senioren bei der Sache sind, der kann das nur unterstreichen.

"Wir werden die Welt nicht verändern", hat Christel Fischer gesagt. Die Frau hat unrecht.