1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. MZ im Gespräch: MZ im Gespräch: Werben für einen Großkreis

MZ im Gespräch MZ im Gespräch: Werben für einen Großkreis

27.12.2002, 18:30

Halle/MZ. - Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler (SPD) stellte sich im Interview Fragen von MZ-Lesern. Die MZ-Redakteure Gerhard Gunkel und Andreas Lohmann hakten ergänzend nach.

Stephan Weinholz: In unserer Region wird es auch in den kommenden Jahren einen starken Bevölkerungsrückgang geben. Ist es da für Halle nicht sinnvoll, aus finanziellen Gründen einen Großkreis mit dem Saalkreis zu bilden?

Häußler: Prinzipiell stimme ich zu, der Großkreis ist richtig, das ist auch schon untersucht worden. Aber in der Konstruktion Halle plus Saalkreis würde er nicht funktionieren, da die Stadt aufgrund ihrer dreimal höheren Einwohnerzahl stets ein Übergewicht der Stimmen in der Regionalversammlung hätte. Es müsste also noch Merseburg hinzukommen, damit keiner der Beteiligten den Großkreis dominiert und ausgewogene Entscheidungen zustande kommen. Aber Merseburg hatte ja gesagt, sie wollen nicht.

MZ: Glauben Sie, das Thema ist noch aktuell, nachdem die neue, CDU-geführte Landesregierung alle Vorschaltgesetze zur Gebietsreform außer Kraft gesetzt hat?

Häußler: Ich denke, das Thema ist hoch aktuell. Die Regierung wird es auch so sehen, selbst wenn sie es zurzeit nicht laut sagt. Es gibt da nach meinem Eindruck auch unterschiedliche Sichten im Kabinett. Und man darf nicht vergessen, dass sich ja die FDP vor der Landtagswahl für eine Gebietsreform eingesetzt hatte. Auch Ministerpräsident Wolfgang Böhmer will, dass größere Strukturen zustande kommen und Gemeinden sich zusammenschließen. Jedenfalls hat er das kürzlich beim Städte- und Gemeindebund erklärt. Die freiwillige Bildung eines Großkreises Halle würde sicher vom Land unterstützt werden.

MZ: Was brächte ein Großkreis denn für Vorteile für die Saalkreis-Einwohner?

Häußler: Der größte Vorteil wäre, sämtliche Infrastrukturen gemeinsam entwickeln zu können. Ich nenne zuerst die Schulplanung und den Abfallbereich, weil wir hier vor besonders schwierigen Fragen stehen. Es gibt auch das Thema, ob jeder Kreis eine Musikschule und eine Kreisvolkshochschule haben muss. Viele Entscheidungen wären einfacher zu treffen bei größeren Strukturen. Ebenso hilft uns die derzeitige Kleinstaaterei bei der Ansiedlung von Investoren nicht weiter.

MZ: Aber Sie sind doch auch bei der großen Gewerbefläche, die die Stadt an der A 14 im Angebot hat, nicht erfolgreich gewesen?

Häußler: Das muss man erstmal abwarten. Wenn ich sehe, dass der Wirtschaftsdezernent von Leipzig, Herr Schubert, dieses Gewerbegebiet mit anbietet, weil Leipzig nicht mehr so große Flächen hat, dann sieht man, dass man den mitteldeutschen Raum als Ganzes betrachten muss und nicht in Kreisgrenzen denken sollte. Für manche Unternehmen ist es auch nicht mehr vorteilhaft, eine Saalkreis-Adresse zu haben. Ich kenne eines, das hat sich in Sennewitz niedergelassen und bei der Telekom extra Geld dafür bezahlt, die einfache hallesche Vorwahl zu besitzen und nicht die eines Dorfes.

Reiner Fliess: Eine kürzlich veröffentlichte Analyse der Wohnnebenkosten besagt, dass in keiner anderen Stadt die so genannte zweite Miete so hoch ist wie in Halle. Nun ist aber ein Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, weil die Stadt die Gebühren - etwa beim Abwasser - weiter anhebt. Wäre es nicht besser, Einsparungen in der Verwaltung vorzunehmen, als die Bürger ständig höher zu belasten?

Häußler: Halle leidet darunter, dass wir so viel Bevölkerung verloren haben. Die Infrastruktur der Stadtwerke ist für die Einwohnerzahl von 1990, also ungefähr 320 000 Menschen ausgelegt worden. Es wurde auf dieser Basis geplant und investiert. Jetzt haben wir fast 90 000 Bürger weniger. Doch die Infrastruktur ist immer noch da und die Kredite müssen abbezahlt werden, auch bei kleiner werdender Einwohnerzahl. Würden wir keine kostendeckenden Gebühren erheben, kämen die Stadtwerke in finanzielle Schwierigkeiten. Damit wäre keinem gedient. Ebenso verhält sich das beim Strom- und Fernwärmepreis.

MZ: Aber die Stadtwerke sind nicht im Verlust, sondern erwirtschaften nicht unerhebliche Gewinne, in diesem Jahr etwa acht Millionen Euro.

Häußler: Das sind ja keine Gewinne, die irgendwo am Kapitalmarkt angelegt werden. Das Geld fließt über unsere kommunale Holding-Gesellschaft der Halleschen Verkehrs AG zu, damit wir dort die Nahverkehrsleistungen aufrecht erhalten können. Die Stadtwerke-Gewinne sind eine ganz wichtige Finanzierungsquelle. Hätten wir die nicht, müssten die Havag-Fahrpreise drastisch angehoben werden. Zu hohe Tarife wären aber nicht gut, weil dann noch mehr Einwohner auf ihr Auto umsteigen. Um aber auf die zweite Miete zurückzukommen: Da müssen wir überprüfen, auf welcher Datengrundlage der Städtevergleich überhaupt basiert. Ich habe Zweifel, dass Halle dabei richtig betrachtet wurde.

Klaus Vollhardt: Die Entwicklung geht in die falsche Richtung und ist kontraproduktiv für die Stadt. Mit Zuzügen in Größenordnungen ist nicht zu rechnen. Immer weniger Bürger sollen mehr Lasten tragen. Wie hoch werden die Entgelte und Gebühren noch steigen?

Häußler: Ich kann für das Jahr 2010, wenn Sie danach fragen, keine zuverlässige Prognose geben. Viel wird davon abhängen, ob wir den Stadtumbau meistern, das heißt, den Wohnungsleerstand in den Griff bekommen. Wenn wir für die dort notwendigen Maßnahmen ausreichend Fördergelder bekommen, bleibt auch die Gebührenentwicklung kalkulierbar.

MZ: Wie erklären Sie aber, dass die Stadt auch bei den Friedhöfen die Gebühren drastisch erhöhen will. Hier geht es im Durchschnitt um eine Verdoppelung. Da schießen Sie doch über das Ziel hinaus.

Häußler: Wir sind aufgefordert - auch seitens der Kommunalaufsicht - kostendeckende Gebühren zu erheben. Auf den Friedhöfen ist das derzeit nicht der Fall, dort sind wir noch großzügig. Wir haben mit anderen Städten verglichen und festgestellt, dass in vielen Fällen die Pflege des öffentlichen Grüns mit in die Gebührenberechnung einbezogen wird. Das gibt es bei uns noch nicht, sollte aber angestrebt werden. In Halle werden noch viele Dinge aus der allgemeinen Kasse bezahlt, anderswo sind sie kostenseitig längst dem Bürger zugeordnet. In Westdeutschland ist für die Menschen selbstverständlich, was hier längst noch nicht eingesehen wird. Warum zahlen zum Beispiel Sportvereine so gut wie nichts für die Benutzung der Turnhallen? Da stehen noch DDR-Gesetze dagegen, die vom Land geändert werden müssten. Wir als Stadt sollen die Strukturen vorhalten, aber keiner, der sie nutzt, will bezahlen.

MZ: Auf den Friedhöfen wollen Sie davon abgehen, die vom Grab eingenommene Fläche in der Gebühr zu berücksichtigen. Das führt dazu, dass eine kleine Urnengrabstätte teurer und ein Erdgrab billiger wird. Beides soll künftig 871 Euro kosten. Das erscheint nicht plausibel.

Häußler: Doch, denn auf den Friedhöfen ist genug Platz. Wir müssen diejenigen, die eine Erdbestattung haben wollen, nicht übermäßig belasten, weil sie mehr Fläche einnehmen. Im Gegenteil, es ist gut, wenn Platz beansprucht wird, weil dann zugleich ein größerer Bereich in private Pflege genommen wird und sich die Stadt nicht darum kümmern muss. Andernfalls haben wir doch immer mehr öffentliches Grün und die Friedhöfe verwandeln sich zunehmend in Parks. Das kann auch nicht das Ziel sein. Und wir müssen wohl auch darüber nachdenken, einige der kommunalen Friedhöfe für Neubestattungen zu schließen, wenn wir nicht andere Träger für sie finden.

MZ: Den Stadtrat haben diese Argumente nicht überzeugt. Sie mussten die Abstimmung über die Gebührensatzung vertagen. Wie wollen Sie zu einem Beschluss kommen?

Häußler: Wir sind bereit Veränderungen vorzunehmen, obwohl wir das in der Verwaltung schon alles intensiv diskutiert haben. Ich bin aber nicht bereit, die PDS-Forderung zu akzeptieren, wonach nur 60 Prozent der Kosten auf die Gebühr umgelegt werden dürfen. Wo sollen denn die anderen 40 Prozent herkommen? Da wird auch die Kommunalaufsicht nicht mitmachen.

MZ: Selbst wenn Sie 100 Prozent mehr Geld auf Friedhöfen verlangen - der Stadt und ihren leeren Kassen hilft das nicht wirklich.

Häußler: Immerhin hätten wir pro Jahr etwa 2,5 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen. Das ist keine unwesentliche Größe. Allerdings kann damit nicht der deutliche Rückgang bei den Landeszuweisungen kompensiert werden. Die sind jetzt um 60 Millionen Euro niedriger als 1995. Die Verwaltung hat enorme Einsparungen erreicht. Der Anteil der Personalkosten am Haushalt beträgt im kommenden Jahr nur noch 32 Prozent, 1998 lagen wir bei 38 Prozent. Da sind wir also echt zurückgefahren.

Christine Peter: Meine Familie wohnt in Köllme im westlichen Saalkreis, und mein Sohn geht in Wettin auf das Gymnasium. Um über die Saale zu kommen, bringt der Schulbus die Schüler zur Fähre. Bei Hochwasser oder wenn der Fluss zufriert, muss der Bus stundenlange Umwege über Halle fahren. Wieso kann mein Sohn nicht in Halle auf das Gymnasium gehen?

Häußler: Möglich wäre das schon jetzt, wenn der Saalkreis den dann erforderlichen Gastschulbeitrag an die Stadt bezahlen würde. Dagegen sträubt sich der Kreis in der Regel und verweist auf die eigenen Gymnasien. Ich wünsche mir hier ein konstruktives Nachdenken beim Kreis. Wir haben ja schon geprüft, ob wir nicht eine gemeinsame Gesamtschule führen wollen. Der Kreis besitzt zurzeit keine. Vom Kreistag wurde der Vorschlag abgelehnt. Ich bin aber weiter interessiert an einer gemeinsamen Schulplanung.

MZ: Wohin steuern Sie bei den halleschen Schulen? Es drohen doch weitere Schließungen.

Häußler: Wir stehen vor weitreichenden Veränderungen. Das neue Schulgesetz und der Geburtenrückgang führen zu Einschnitten bei den Schulstandorten. In Zukunft werden wir vor allem nicht mehr so viele Sekundarschulen haben. Ich plädiere dafür, dass die Stadtverwaltung schon im ersten Halbjahr 2003 erklärt, welche Standorte voraussichtlich auf Dauer bestehen bleiben und welche nicht. Dann können sich Eltern und Schüler darauf einstellen und damit wissen auch wir, wohin die knappen Sanierungsmittel künftig fließen sollen. Überdies ist der Stadtrat aufgefordert, bis Ende 2003 eine überarbeitete Schulentwicklungsplanung zu beschließen.

MZ: Wird es im Sommer nächsten Jahres noch ein Nordbad geben, das man benutzen kann?

Häußler: So schnell wird es mit Entscheidungen nicht gehen. Wir prüfen gerade, ob wird die Bäder an die Stadtwerke weitergeben können. Bevor das geschehen kann, muss klar sein, welche noch betrieben werden sollen. Uns fehlen aber noch Zahlen. Wir müssen wissen, wie hoch die Bewirtschaftungskosten und der Sanierungsaufwand sind. Und wie viele Besucher kommen. Meine Vorstellung war immer, das Spaßbad Maya Mare durch ein Freibad zu ergänzen. Man könnte dann wohl auf das Ammendorfer Freibad verzichten, vorausgesetzt man kann vernünftige Preise im neuen Bad anbieten.

Jürgen Przygoda: Ich befürchte, dass in Lochau mit der Müllverbrennungsanlage ein weiteres Prestige-Objekt entsteht, für das die Bürger über hohe Gebühren bezahlen müssen.

Häußler: Ich sehe auch, dass in Sachsen-Anhalt viele Anlagen nebeneinander geplant werden. Die Ausgangssituation für Halle ist aber gut. Wir können als Stadt allein 50 000 Tonnen Hausmüll im Jahr aufbringen, damit wäre die Anlage zu einem Großteil ausgelastet. Da sind wir auf der sicheren Seite. Zudem haben wir bereits Infrastruktur am Deponiestandort geschaffen, die auch künftig mit genutzt werden kann. Da muss nicht noch mal investiert werden, das drückt auch die Kosten. Und es gibt Firmen aus der Abfallwirtschaft, die sich im Umfeld einer Müllverbrennungsanlage ansiedeln wollen. Ich bin sicher, dass wir so zu günstigen Preisen und Gebühren kommen. Lochau ist kein Prestige-Projekt.