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Es wird eng beim Gebet Muslime in Halle (Saale): Moschee in Halle-Neustadt ist überfüllt

Von Julius Lukas 07.07.2017, 08:55
Weil im islamischen Kulturcenter in Halle-Neustadt kein Platz mehr ist, müssen Gläubige hier ins Freie ausweichen.
Weil im islamischen Kulturcenter in Halle-Neustadt kein Platz mehr ist, müssen Gläubige hier ins Freie ausweichen. Andreas Stedtler/Archiv

Halle (Saale) - Das Schuhregal platzt aus allen Nähten. Im Gebetsraum in der ersten Etage ist kaum noch Sauerstoff. Doch der Strom von Menschen, die sich auf das islamischen Kulturcenter in Halle-Neustadt zubewegen, reißt nicht ab.

Mindestens eintausend Gläubige drängen sich zum Freitagsgebet in das Kulturcenter in Halle-Neustadt

An diesem Nachmittag im Juni findet in dem blau gestrichenen Flachbau das Freitagsgebet statt. Zwischen 1.000 und 1.500 Gläubige nehmen daran teil. Wie viele es genau sind, weiß selbst Djamel Amelal nicht.

„Zählen sie doch einmal durch“, sagt der Sprecher des Kulturcenters mit einem Lächeln. Es ist eine fast unlösbare Aufgabe, denn bis in die hinterletzte Ecke des Gebäudes haben sich die Betenden verteilt. Sogar auf dem Platz davor sitzen sie. Volles Haus also in der einzigen Moschee der Stadt.

„Auch wenn es regnet oder schneit und drinnen kein Platz mehr ist, vollziehen die Menschen im Freien den Gottesdienst“, erzählt Amelal. „Das ist ein Zustand, der uns schon seit Jahren beschäftigt, an dem sich aber nichts ändert.“

Kulturcenter in Halle-Neustadt überfüllt: Platzproblem der Muslime hat sich seit 2015 verschärft

Im Gegenteil: Das Platzproblem der Muslime habe sich seit 2015 noch einmal verschärft. Durch den Zuzug von Flüchtlingen vergrößerte sich auch die Gemeinde. „Wir sind mindestens um das Doppelte gewachsen“, sagt Amelal. Immer freitags wird das sichtbar.

Aus den Lautsprechern ist blechern die Stimme des Imams, des Vorbeters, zu hören. Seine Predigt ist Teil des Freitagsgebets, das für muslimische Männer verpflichtend ist und das als wichtigster religiöser Termin der Woche gilt.

Die Stimme des Imams beschallt auch den Platz vor der Moschee. Nicht laut, aber in den umliegenden Plattenbauten von Halle-Neustadt durchaus vernehmbar. Eine der wenigen, die dem Treiben an diesem Juni-Tag zuschaut, ist eine Frau, die auf einem Balkon eine Zigarette raucht. „Das ist hier jede Woche so“, sagt sie. Aber stören tue sie das nicht. „Wenn es keine Probleme gibt, sollen die das ruhig machen“, meint die Frau und raucht weiter.

Kulturcenter in Halle-Neustadt: Zuckerfest im Freien wurde auf Facebook heiß diskutiert

Beschwerden der Anwohner gegen das Kulturcenter wurden bisher nicht öffentlich. Allerdings weiß man in der Gemeinde, dass der wachsende Andrang auch zu Unmut führen könnte. Zuletzt zeigte das ein Video im Internet. Dort ist zu sehen, wie Hunderte Muslime an einem Sonntagmorgen das Zuckerfest auf einer Wiese vor dem Kulturcenter feiern. Mit dem Fest wird jedes Jahr der Fastenmonat Ramadan beendet.

Die Feier im öffentlichen Raum wurde auf Facebook hitzig diskutiert.

Um den Ansturm auf das Gotteshaus in geregelte Bahnen zu leiten, hat die Gemeinde für die Freitagsgebete einen Ordnungsdienst eingesetzt. In grellen Warnwesten überwacht dieser die Szenerie. „Wir halten zum Beispiel den Fußweg neben dem Kulturcenter frei, damit sich die Anwohner nicht eingeschränkt fühlen“, erklärt Amelal. Und wer will, kann sich den Flachbau, der einst eine Postfiliale war, auch ansehen. Besucher sind willkommen.

Kulturcenter in Halle-Neustadt überfüllt: Muslime hoffen auf Vergrößerung oder Umzug

Allerdings wollen die Muslime mit der Situation vor Ort nicht nur umgehen, sondern sie auch ändern. „Wir beten in einem alten, zu kleinen Plattenbau - das ist für uns natürlich kein Idealzustand“, sagt Amelal. Das Minimalziel der Gemeinde wäre eine Vergrößerung des Hauses oder der Umzug in ein neues Gebäude. An mehr, also den Bau einer eigenen Moschee, wagen die Muslime derzeit nicht zu denken.

Dafür fehlt ohnehin das Geld. Die islamische Gemeinde in Halle ist, wie viele andere Gemeinden auch, als Verein organisiert. Alles basiert auf ehrenamtlicher Arbeit. Selbst der Imam bekommt kein Geld. Ihren Erhalt, wie etwa die Sanierung des Daches im Kulturcenter, finanziert die Gemeinde fast ausschließlich durch Spenden ihrer Gläubigen. Für mehr reichen die Einnahmen nicht aus.

Kulturcenter in Halle-Neustadt überfüllt: Von Fremdfinanzierung hält der Sprecher wenig

Dabei gibt es islamische Gemeinden in Deutschland, die Moscheen bauen können. Woher das Geld für solche Projekte kommt, ist meist schwer nachzuvollziehen. „Manche Gemeinden realisieren den Bau zum Beispiel mit Unterstützung anderer Länder“, erklärt Amelal. Geldgeber sind dann die Türkei oder Saudi-Arabien.

Bekannt ist zum Beispiel die finanzielle Verquickung bei einem der größten islamischen Dachverbände, der Ditib. Die meisten Imame ihrer 900 Moscheen in Deutschland werden vom türkischen Staat entsandt und bezahlt. Von solch einer Fremdfinanzierung hält Djamel Amelal wenig: „Man sollte doch von dem Staat unterstützt werden, in dem man lebt.“

Wie viele Muslime in Deutschland leben, weiß niemand genau. Während die Zahl der Christen gut anhand der Gemeindemitglieder abgelesen werden kann, gibt es so etwas in muslimischen Gemeinschaften nicht. Deswegen muss geschätzt werden. Überlässt man diese Aufgabe den Bürgern, so kommt eine mächtige Zahl heraus: Etwa 17 Millionen Anhänger des Islam sollen Umfragen zufolge in Deutschland leben. Das wäre ein Fünftel der Bevölkerung.

Diese Schätzung greift aber deutlich zu hoch. Die aktuellste Hochrechnung ergab für 2015, dass es zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland gibt.

Die meisten stammen aus der Türkei und nur ein Bruchteil von ihnen hält sich in Sachsen-Anhalt auf. Auch hier kann nur geschätzt werden. Djamal Amelal von der Islamischen Gemeinde in Halle geht von etwa 30.000 Muslimen im ganzen Land aus. (jul)

Auf finanzielle Hilfen aus der Region kann die Gemeinde allerdings kaum hoffen. „Die Stadt Halle führt gegenwärtig mit dem Verein Gespräche über die Entwicklung des Kulturcenters, entsprechend den Vorstellungen und Möglichkeiten des Vereins“, sagt Sprecher Drago Bock nebulös. Konkreter wurde schon vor einem Jahr die Staatssekretärin im Sozialministerium, Susi Möbbeck (SPD): „Was sicher nicht möglich ist, ist eine Finanzierung von Gotteshäusern durch das Land, und auch nicht durch die Kommunen“, sagte sie damals der MZ.

Kulturcenter in Halle-Neustadt überfüllt: Muslime hoffen auf bezahlbares, größeres Gebäude

Für Djamel Amelal sind die finanziellen Engpässe aber ohnehin kein regionales Problem. „Der Islam sollte in Deutschland als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt werden“, fordert der 49-Jährige. Damit hätte der Islam einen Status, den auch andere Glaubensrichtungen besitzen. Ein Vorteil wäre, dass die muslimische Gemeinschaft Beiträge ihrer Gläubigen durch den Staat einziehen lassen könnte - ähnlich wie bei der Kirchensteuer. Das würde eine stabilere Finanzierung sichern.

Bis es soweit ist, da sind sich Experten einig, wird es allerdings noch dauern. Den Muslimen in Halle bleibt deswegen nur zu beten, dass sich ihre Situation ändert: „Jeder Gläubige wünscht sich, ein richtiges Gotteshaus zu haben“, sagt Djamel Amelal. „Und vielleicht finden wir ja schon in der nächsten Woche eine Immobilie, die genug Platz bietet und auch bezahlbar ist.“ (mz)