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Religion Muslime bekommen neues Zentrum in Halle

Die Stadt will dem Islamischen Kulturcenter ein Grundstück in Neustadt verkaufen. Dort soll eine große und sichere Anlaufstelle für die Gemeinde entstehen. Eine Skizze offenbart erste Details.

Von Tanja Goldbecher und Annette Herold-Stolze 09.02.2022, 19:30
Der Platz im Islamischen Kulturcenter reicht derzeit nicht aus, sodass viele Muslime regelmäßig  im Freien beten müssen.
Der Platz im Islamischen Kulturcenter reicht derzeit nicht aus, sodass viele Muslime regelmäßig im Freien beten müssen. Foto: Stedtler

Halle (Saale)/MZ - Ein grüner Kunstrasen wird vor dem Gebäude ausgerollt. Die Muslime, die im Islamischen Kulturcenter keinen Platz finden, setzen sich auf den improvisierten Gebetsteppich unter freiem Himmel. Dicht aneinander gedrängt knien sie zum Freitagsgebet nieder und verfolgen die Predigt des Imam, die über Lautsprecher nach draußen übertragen wird. Auch im Winter, wenn es kalt und stürmisch ist, versammeln sich die Gläubigen vor dem Gemeindezentrum in Neustadt. Die Kälte ist zwar unangenehm. Seit den Luftgewehrschüssen auf das Gebäude am 23. Januar wiegt die Angst, trotz Polizeischutz beim Beten angegriffen zu werden, jedoch schwerer.

Damit Muslime in Halle an einem warmen und sicheren Ort ihren Glauben praktizieren können, unterstützt die Stadt den Vorschlag, ein neues Gemeindezentrum zu errichten. Nach MZ-Informationen plant die Verwaltung, ein 1.900 Quadratmeter großes kommunales Grundstück für 250.000 Euro an das Islamische Kulturcenter zu verkaufen. Das unbebaute Areal befindet sich direkt neben dem bisherigen Zentrum Am Meeresbrunnen. Die Stadträte müssen dem Verkauf im Finanzausschuss in der kommenden Woche noch zustimmen.

Laut einer Einwohnerumfrage von 2017 sind etwa 75 Prozent der Hallenser konfessionslos, rund 23 Prozent christlich und 0,9 Prozent dem Islam angehörig. Der Verfasser der Studie geht jedoch davon aus, dass mehr Muslime in Halle leben. In ganz Sachsen-Anhalt wird die Anzahl auf 25.000 geschätzt. Das Islamische Kulturcenter hat großen Zulauf und hegt schon seit vier Jahren den Wunsch, ein neues Gebäude zu errichten. Nun soll das Projekt in die Tat umgesetzt werden. Es würde sich dabei um den ersten Neubau für eine islamische Gemeinde in Sachsen-Anhalt handeln. Die Magdeburger Moschee ist in einem ehemaligen Heizhaus untergebracht.

Auf einer Visualisierung, die der MZ vorliegt, ist das Gebäude beispielhaft dargestellt. Demnach soll sich das barrierefreie Kulturzentrum auf zwei Etagen erstrecken. Weder Türme noch Kuppeln sind zu sehen. Das Haus ist mit einem flachen Dach versehen. Die Verwaltung schlägt vor, dass es bepflanzt wird, damit die grüne Wiese an dieser Stelle nicht komplett verloren geht. In der Skizze sind auf beiden Etagen bodentiefe Fenster abgebildet, so wirkt das Gebäude offen. Die neuen Räume will der islamische Verein für Gebete, Religionsunterricht sowie als multikulturelle Begegnungsstätte mit Bibliothek, Cafeteria und Sporthalle nutzen. Aber auch das bisherige Zentrum bleibt bestehen, damit die Gemeinde künftig beide Standorte zur Verfügung hätte.

Der Vorsitzende Djamel Amelal will sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu den Plänen äußern. Erst wenn der Stadtrat dem Grundstücksverkauf zugestimmt habe, könne der Verein die nächsten Schritte einleiten. Aus dieser Zurückhaltung spricht aber auch eine gewisse Angst vor den Reaktionen in der Stadt. „Wir haben erlebt, was in Erfurt, Jena und Leipzig passiert ist, als die Pläne bekannt wurden“, sagt Mamad Mohamad. Er ist Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisation (Lamsa) mit Sitz in Halle. Das Islamische Kulturcenter zählt zu den Mitgliedern der Organisation. In Leipzig wurde im vergangenen Herbst der Bau einer Moschee genehmigt. Zuvor gab es massiven Protest dagegen. Eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften und Schweinsköpfe wurden auf dem Moschee-Areal aufgespießt. Die Proteste haben sich gelegt. Einige Bürger reagieren trotzdem auf den Neubau.

Mohamad rechnet damit, dass die Gemeinde auch in Halle Anfeindungen erleben werde. Zugleich glaubt er an die positive Wirkung des Projekts: „Der Neubau ist ein wichtiges Signal für die Vielfalt in der halleschen Stadtgesellschaft.“ Das Kulturzentrum müsse jedoch stärker in Neustadt verankert werden, damit sich zivilgesellschaftliche Netzwerke aufbauen. Die Frage, ob das Gebäude als Moschee bezeichnet werden könne, verneint er. Es soll zwar Räume zum Beten geben. „Die multikulturelle Begegnungsstätte steht jedoch im Vordergrund.“ Der Verein bräuchte aber schon jetzt eine Lösung: „Die Menschen beten auf dem kalten Boden im Freien“, so Mohamad. Der Neubau werde sicher nicht vor 2023 fertig sein.

So könnte die multikulturelle Begegnungsstätte aussehen, die der islamische Verein in Halle-Neustadt aufbauen möchte.
So könnte die multikulturelle Begegnungsstätte aussehen, die der islamische Verein in Halle-Neustadt aufbauen möchte.
Foto: Stadt Halle/Architec2motion

Kommentar von Tanja Goldbecher: Halle braucht sichtbare Beweise

Ich hoffe, dass die Stadträte dem Grundstücksverkauf in Neustadt zustimmen werden. Durch Angriffe wie 2019 auf die Synagoge und vor zwei Wochen auf das Islamische Kulturcenter hat Halle bundesweit für negative Schlagzeilen gesorgt und Zweifel gesät, ob hier ein friedliches und vielfältiges Miteinander überhaupt möglich ist. Daher ist es wichtig, dass die Stadt sich klar für die freie Religionsausübung einsetzt und solche Projekte fördert. Der Neubau hätte eine große Signalwirkung auch über die Stadtgrenzen hinaus. Halle ist eine moderne Stadt, die junge Menschen anzieht und sich stets weiterentwickelt. In sämtlichen Vierteln werden Häuser saniert, Neubauten prägen Plätze und Straßen. Zu den Veränderungen gehört aber auch, dass die Gesellschaft vielfältiger wird und verschiedene Arten zu leben, ihre Spuren hinterlassen. Solidarität wurde zuletzt genug bekundet. Jetzt brauchen wir sichtbare Beweise, dass die Vielfalt gesellschaftlich verankert und gewollt ist. Ein Neubauprojekt wäre so ein Beweis.

Die Autorin erreichen Sie unter: [email protected]