Musikgeschichte Musikgeschichte: «Stille Nacht» kam über Halle
Halle (Saale)/MZ. - Es ist das Lied schlechthin für Heiligabend: "Stille Nacht, heilige Nacht!" Keine Weihnachten kommt ohne diesen Song aus - und das seit etwa eineinhalb Jahrhunderten. Erstmals erklungen ist das Lied aber bereits Weihnachten 1818. Da nämlich hat es der Kantor Franz Xaver Gruber in Oberndorf bei Salzburg im Gottesdienst singen lassen - mit eigener Vertonung. Er hatte seiner Komposition ein kurz zuvor entstandenes Gedicht des Priesters Joseph Mohr zugrunde gelegt.
Doch vielleicht wäre das Lied Tiroler Folklore geblieben - wenn es den halleschen Kirchenmusiker Carl Gottlob Abela nicht gegeben hätte. Abela war auch als Gesangslehrer an den Franckeschen Stiftungen tätig und hatte für seinen Unterricht eine Liedsammlung drucken lassen, die lange als "der Abela" eine der bekanntesten Liedersammlungen war.
Im "Abela" hatte es dann auch der Hamburger Pfarrer und Diakonie-Partriarch Johann Hinrich Wichern gefunden. Wichern hat es bearbeitet und in jene Form gebracht, in der noch heute im Evangelischen Gesangbuch steht. Bleibt die Frage, woher der Hallenser Abela das Lied des Oberndorfer Kantors kannte. Überliefert ist, dass eine Tiroler Volksmusikgruppe, die "Geschwister Strasser", das Lied 1831 auf der Leipziger Messe vorgetragen haben.
Und der Dresdener Buchhändler August Robert Friese habe deren Gesang mitschreiben lassen und das Lied dann in Notenfassung publiziert. Denkbar also, dass der Gesanglehrer aus Halle diesen Druck in die Hände bekam, und dann für den entscheidenden Impuls zur Popularisierung des Liedes sorgte. "Stille Nacht" ist aber nicht das einzige Weihnachtslied mit Halle-Berührung. Noch mehr mit unserer Stadt hat das Kirchenlied Nummer 1 im Evangelischen Gesangbuch zu tun: das populärste Adventslied "Macht hoch die Tür, die Tor' mach weit!".
Im Zusammenhang mit dessen Entstehung ist von dem halleschen Arzt Christian Richter die Rede - und einem Glauchaer Kantor Hille. Und von der Nähe zu volkstümlichen Weisen, die heute keiner mehr kennt und die - wie damals nicht unüblich - auf alte christliche Texte umkomponiert wurden.
Der Text stammt zwar von dem ostpreußischen Pfarrer Georg Weissel und dürfte weit älter sein als die Melodie. Johann Anastasius Freylinghausen - Schwiegersohn und Nachfolger von Francke - hat dann aber eine neue Fassung geschaffen oder veranlasst. Das unter Freylinghausens Namen 1704 herausgegebene, berühmte Kirchengesangbuch war für die Zwecke der pietistischen Volksfrömmigkeit konzipiert. "Macht hoch die Tür" muss haargenau seinen Vorstellungen entsprochen haben. Der Text schildert ein altes Ritual, das den Einzug Gottes in den Tempel von Jerusalem symbolisiert - und die Freude auf die Ankunft des Gottessohns. Und diese Freude nahm man im Hause Francke ganz wörtlich: Die Zeile "Komm o mein Heiland Jesu Christ, mein's Herzens Tür dir offen ist" beschreibt die fast schon romantische Religiosität der halleschen Pietisten.