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Mit "Avontuur" Mit letztem deutschen Segelfrachter "Avontuur": Deshalb segelt diese Hallenserin über den Atlantik

Von Oliver Müller-Lorey 07.01.2020, 11:00
Im Profi-Segelanzug wird Peggy Engelmann den Atlantik überqueren. Mit dabei: ihr Rucksack, den sie für fünf Euro gebraucht gekauft hat. Nachhaltigkeit ist der 33-Jährigen wichtig.
Im Profi-Segelanzug wird Peggy Engelmann den Atlantik überqueren. Mit dabei: ihr Rucksack, den sie für fünf Euro gebraucht gekauft hat. Nachhaltigkeit ist der 33-Jährigen wichtig. Silvio Kison

Halle (Saale) - Wie weit darf Klimaschutz gehen? Reicht es, das Fliegen einzuschränken und nur noch Bio-Produkte zu essen? Das Auto zu verkaufen? Oder muss man das eigene Leben riskieren? Für Peggy Engelmann aus Halle ist klar, wo ihre Prioritäten liegen.

Am Freitag wird sich die 33-Jährige im Dienste des Umweltschutzes auf die Reise ihres Lebens begeben. Es ist eine gefährliche Reise mit einem Segelfrachtschiff - einem der letzten auf der Welt - von Deutschland aus quer über den Atlantik bis nach Mittelamerika.

Dort wird sie Kaffee, Tee, Gewürze und Rum laden und dies im Frachtraum des Schiffes CO2 -neutral zurück nach Deutschland segeln. Ziel der Reise: zeigen, dass der internationale Handel auch ohne haushohe Containerschiffe und Abgase funktioniert.

Während ihres gut sechsmonatigen Törns mit der „Avontuur“ - zu deutsch: „Abenteuer“ - will Engelmann im Internet über ihre Reise berichten und so eine große Öffentlichkeit erreichen.

Hier geht's zur interaktiven Karte.

Seglerin Peggy Engelmann wird in Profi-Ausrüstung den Atlantik überqueren

Kurz vor ihrer Reise sitzt die 33-Jährige, die eine auffällige Undercut-Frisur mit einer kahl rasierten Kopfseite trägt, im Wohnzimmer ihrer Plattenbauwohnung und streift ihren knallroten Segelanzug über. Er besitzt eine sogenannte Wassersäule von 30 000, was bedeutet, dass diese Jacke wasserdicht ist und damit Regen und Gischt widerstehen wird. Gewöhnliche Zelte oder Outdoor-Jacken haben meist eine Wassersäule von 3 000. Profi-Ausrüstung kann für den Trip über den Atlantik eine Lebensversicherung sein.

„An Bord der ,Avontuur’ will ich gut gerüstet sein. Es erwarten mich Minusgrade, Wellen die über das Schiff schlagen, Regen, Sturm bis hin zum sonnigen Wetter“, sagt Engelmann. Die Schwimmwesten und ein Geschirr, mit dem sich die Segler bei Sturm an der Reling einhaken können, stellt die Reederei.

Peggy Engelmann: Segelschein im Crashkurs

Bootsstiefel, die mindestens so wichtig sind wie die Oberbekleidung, hat sie sich bei ihrem Segellehrer geliehen, bei dem sie in den vergangenen Monaten mehrere Segelscheine abgelegt hat. Denn der Sport war bis dahin höchstens Freizeitvergnügen für die Frau aus dem Erzgebirge.

Hauptberuflich ist sie Naturpädagogin, unterrichtet an einer Privatschule das Fach „Schulgarten“. „In meiner Kindheit bin ich höchstens mal mit meinen Eltern im Urlaub auf den Kanaren für einen Tag segeln gegangen. Aber Segelurlaub, geschweige denn längere Touren habe ich nie gemacht.“

Wer eine Atlantiküberquerung auf sich nehmen will, braucht rein rechtlich auch keinen Segelschein. Es reicht, wenn der Kapitän, der sogenannte Skipper, alle nötigen Zeugnisse hat.

„Aber ich will wissen, was ich da an Bord tue. Seit September habe ich deshalb einen Segel-Crashkurs gemacht und jeden Abend nach der Arbeit gelernt. Das war hart“, sagt Engelmann. Und teuer. Denn ein Ticket für die „Avontuur“ gibt es nicht gratis, obwohl Engelmann, die im Internet Spenden sammelt, mit anpacken muss. „Allein die Reise kostet 8 800 Euro.“

Atlantiküberquerung: Wetter bleibt große Unbekannte

Wenige Tage vor dem Ablegen in Elsfleth bei Hamburg hat sie sich so gut vorbereitet, wie möglich. Doch auf alles kann man sich bei einer Atlantiküberquerung nicht vorbereiten. Das Wetter bleibt die große Unbekannte. Engelmann hofft, dass die wild zusammengewürfelte 15-köpfige Crew, die nur aus sechs Stammmitgliedern besteht und sich ansonsten zum ersten Mal auf dem Schiff begegnet, nicht in einen Sturm gerät. Wer auf offener See über Bord geht, hat kaum eine Überlebenschance. Wie weit soll man gehen, um die Welt zu retten?

„Sehr weit“, findet die Klimaaktivistin. „Ich weiß, dass etwas passieren kann. Aber ich glaube, dass ich für etwas da bin in dieser Welt und das stelle ich über die Angst.“ Trotzdem hat sie vorgesorgt, falls etwas schief geht. Zu Weihnachten hat sie noch einmal ihre Eltern besucht. „Das war mir wichtig.“ Engelmann spricht es selbst nicht aus, aber ihr guter Freund, Johannes Labs, wird dafür deutlich:

„Wir haben den ,worst case’, also das Schlimmste, was passieren kann, besprochen. Es gibt Listen, was zu tun ist, wenn etwas passiert.“ Auch Verletzungen kommen vor, so wie auf der letzten Fahrt der „Avontuur“. „Da musste der Kapitän einen offenen Beinbruch an Bord versorgen“, sagt Engelmann. Dennoch habe sie absolutes Vertrauen in Kapitän und Schiff.

Segelfachter Avontuur: Schiff mit langer Geschichte

Der Segelfrachter ist ursprünglich nie für eine Atlantiküberquerung, sondern für den Handel in Küstennähe gebaut worden. 1920 läuft die „Avontuur“ in den Niederlanden vom Stapel, schippert vor allem durch die Nordsee, wird aber nach dem Zweiten Weltkrieg wie andere Frachtsegelboote unrentabel.

Kohle- und ölbetriebene Frachter sind von nun an in Mode. Als Touristenschiff muss der zweimastige Gaffelschoner Jahrzehnte lang seinen Dienst zwischen den Westfriesischen Inseln und dem holländischen Festland verrichten. Doch 2014 kauft die Reederei „Timbercoast“ das beinahe 100-jährige Schiff und baut es wieder zum Frachter um.

70 Tonnen passen in die Laderäume. Das Geschäftsmodell besteht darin, fair produzierte Waren ohne Emissionen nach Deutschland zu transportieren und sie in einem Onlineshop zu verkaufen.

Nur, um in die Häfen einzufahren, werden die Segel geborgen und ein Motor gestartet. Doch der läuft nicht mit Diesel, sondern elektrisch mit Solarenergie. Vier lange Touren hat die „Avontuur“ schon erfolgreich bestritten, am 10. Januar bricht sie zur fünften Tour auf - mit Peggy Engelmann.

„Peggy Merkur“ ist der Künstlername der Umweltaktivistin

Wenn es um den Umweltschutz geht, macht sie wenige Kompromisse. Lange arbeitete sie für das Umweltbildungszentrum Franzigmark im Saalekreis. Bei Demonstrationen von Fridays for Future und Extinction Rebellion läuft sie mit. Für ihren Unterricht und einen Podcast, in dem sie sich den Künstlernamen „Peggy Merkur“ gegeben hat, recherchiert sie mit Studien von Greenpeace und anderen Umweltorganisationen.

Engelmann ist Imkerin und wohnt in einer Plattenbauwohnung, nicht nur aus Kostengründen, sondern auch weil das ihrer Meinung nach energiesparender ist. Doch reichen all diese Bemühungen, um den Planeten zu retten?

In halleschem Geschäft entdeckt: CO2-neutral gesegelter Kaffee machte neugierig

Eines Tages entdeckt sie jenen CO2 -neutral gesegelten Kaffee in einem halleschen Geschäft und kauft ihn fortan bei der Ladeninhaberin, die eine Freundin wird. „Im Sommer hat sie mich gefragt, ob ich mithelfen will, die Ladung der ,Avontuur’ zu löschen.“ Löschen ist in der Seemannssprache das Ausladen eines Schiffes.

„Also sind wir nach Elsfleth gefahren. Als die ,Avontuur’ eingelaufen ist, haben die Leute an Bord gewinkt, manche hatten Tränen in den Augen, es war eine unbeschreibliche Stimmung.“ Engelmanns Augen leuchten, als sie von dem Tag erzählt, an dem sie das Schiff zum ersten Mal sieht und später auch betritt.

„200 Leute haben mit reiner Muskelkraft all die Waren entladen. Ich habe mich gewundert, dass sich so etwas überhaupt lohnt, aber das war der Moment, als ich gedacht habe: Da musst du mitfahren!“

Ingenieure experimentieren mit großen Segeln

Dass es sich für Reedereien lohnt, Windkraft zu nutzen, ist alles andere als abwegig. Zwar sind reine Segler noch nicht profitabel, doch Ingenieure experimentieren bereits mit großen Segeln auf herkömmlichen Frachtern. Ausgerechnet der Flugzeugbauer Airbus testet ein 1 000 Quadratmeter großes Segel, das mit einem Seil an einem Frachtschiff befestigt ist. So sollen 20 Prozent Diesel eingespart werden.

Experimente wie diese sind für Engelmann ein Schritt in die richtige Richtung. Dass der Welthandel auf dem Meer künftig wieder in größerem Maß mit Segelbooten bestritten wird, ist unrealistisch. Doch vielleicht sind Segelfrachter auch mehr als eine exotische Nische. „Wer weiß. Ich mache diese Reise, um das zu ergründen.“

Auf ihrem Blog will Peggy Engelmann, so lange sie Internet hat, aktuell von ihrer Reise berichten. Zu finden ist er unter: www.peggymerkur.blog  (mz)

Die „Avontuur“ ist das letzte deutsche Segelfrachtschiff.
Die „Avontuur“ ist das letzte deutsche Segelfrachtschiff.
Timbercoast