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Marseille soll mit einer Gutachterin gekungelt haben

Von MICHAEL TEMPEL 28.07.2010, 17:01

HALLE/MZ. - Der bundesweit bekannte Hamburger Geschäftsmann Ulrich Marseille ist wegen Bestechung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Nach Überzeugung des Landgerichts Halle hatte der 54-Jährige einer früheren Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) kostenlos einen Pkw zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug habe die Frau Gefälligkeitsgutachten zur Pflegebedürftigkeit von Senioren angefertigt, die in einer zu Marseilles Firmengruppe gehörenden Einrichtung betreut wurden.

In Berufung gegangen

Richter Helmut Tormöhlen verhängte gegen Marseille ein Jahr Haft, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung. Die wegen Bestechlichkeit mitangeklagte ehemalige Gutachterin erhielt acht Monate Haft, ebenso ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung. Außerdem muss sie den finanziellen Vorteil der Auto-Nutzung (rund 21 200 Euro) zurückzahlen. Damit hob Tormöhlen ein Urteil des Amtsgerichts Halle vom April 2009 auf, das Geldstrafen verhängt hatte. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten damals Rechtsmittel eingelegt.

Marseille und die Mitangeklagte, die die Vorwürfe stets bestritten haben, äußerten sich in dem Berufungsprozess nicht. In seiner zweistündigen Urteilsbegründung sagte Tormöhlen, dass ihre Schuld aber durch die Aussagen der 14 Zeugen bewiesen worden seien. So habe Marseille der Gutachterin ab 1999 einen Rover und später einen Skoda überlassen. Die Gegenleistung der heute 63-Jährigen: Laut Tormöhlen hat sie bei Marseille-Patienten deutlich öfter die kostenintensive Pflegestufe zwei festgestellt als bei anderen Patienten. "Es herrschte zwischen Ihnen Einvernehmen, Vorteile auszutauschen", sagte der Richter zu den Angeklagten. Demonstrativ unbeteiligt wohnte Marseille der Verhandlung bei: Während Tormöhlens Vortrag hantierte er unentwegt mit seinem Handy. Auch diesmal will der Hamburger den Richterspruch nicht hinnehmen. "Das Urteil ist falsch", sagte er nach der Verhandlung zur MZ. Sein Anwalt Walter Wellinghausen kündigte Revision an. Auch die Gutachterin, der nach Bekanntwerden der Vorwürfe 2004 vom MDK gekündigt worden war, will gegen das Urteil vorgehen.

Schon mehrfach vor Gericht

Marseille ist seit Jahren geschäftlich und teils auch politisch in Sachsen-Anhalt aktiv. Dabei geriet er aber auch mehrfach durch Gerichtsprozesse in die Schlagzeilen: So wurde er Mitte 2009 vom Landgericht Halle wegen versuchter Nötigung und versuchter Anstiftung zur Falschaussage zur Bewährung und zur Zahlung von sechs Millionen Euro verurteilt (die MZ berichtete). Er oder Dritte sollen einem Zeugen Drohbriefe geschickt haben, um diesen von einer Aussage in einem früheren Prozess abzuhalten. Marseille hat diese Vorwürfe immer zurückgewiesen und dieses Urteil ebenfalls angefochten.