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Kunstforum Kunstforum: Anfassen erlaubt!

Von Jeanine Trenkler 16.03.2013, 19:42

Halle/MZ - Eine Modenschau für Blinde - geht das überhaupt? Ja, das geht, wie die neue Ausstellung im Kunstforum der Sparkassenstiftung beweist. Der Berliner Fotograf und Dokumentarfilmer Karsten Hein hat das ungewöhnliche Projekt gestartet.

„In meinem Bekanntenkreis habe ich einen blinden Freund, der mich dazu motiviert hat“, sagt er. Und dann gab es noch eine blinde Frau, die neben vielem anderen, was sie leistet, Fotomodell ist - nämlich die Hallenserin Jennifer Sonntag. Hein lernte sie einst auf einer Buchlesung kennen. Zusammen entwickelten beide vor zwei Jahren die Idee zu dieser Modenschau für Blinde.

Entstanden ist aus dem Projekt diese besondere Fotoausstellung, die am Dienstag eröffnet wird. Sie hat das Ziel, „die Welt der Blinden den Sehenden näherzubringen“. Aber die Schau richtet sich natürlich auch an Blinde. Für sie soll das Gezeigte „lesbar“ sein. Um das zu erreichen, entwickelte die Kunststickerin Antje Kunze eine Art Blindenschrift auf der Kleidung. „Weil ich selbst Brillenträgerin bin, habe ich mir gedacht: Wie wäre es, wenn ich nichts sehen könnte?“, erzählt sie.

"Anfassen erlaubt, gucken aber nicht"

So entstand die Idee für die Stickereien. An den Kragen oder Hemdrücken sind nun witzige Sprüche zu ertasten. Zum Beispiel: „Anfassen erlaubt, gucken aber nicht!“

Antje Kunze hatte im Vorfeld der Ausstellung Kontakt zu Jennifer Sonntag aufgenommen, um mit ihr zu überlegen, wie das Konzept praktisch funktionieren kann. Ein Computerprogramm half Antje Kunze bei der Ausführung. „Das Ergebnis war so überzeugend, das hätte ich selbst nicht gedacht“, sagt sie. So sind neben der Schrift nun auch Tier- oder Menschenbilder aufgestickt. Karsten Hein wollte für die Fotografien extra weiße, konservative Kleidung verwenden. „So kann ich die Leute in einer ganz besonderen Weise ablichten.“, sagt er. Auch lasse sich die Kleidung, die dann für die Modenschau verwendet wurde, leicht besticken. Bereits im Februar diesen Jahres haben sich dafür blinde Menschen aus Halle, Leipzig, Berlin und Magdeburg getroffen. Jeder von ihnen geht mit seinem Schicksal anders um. Da gibt es zum Beispiel Benny Tröllmich. Der 32-jährige Klavierstimmer sagt, er habe sich leicht in die Blindenschrift einarbeiten können. Sebastian Schulze, seit neun Jahren blind, hatte anfangs Probleme damit. Der 36-jährige Dresdner studiert derzeit Kulturwissenschaft an der Uni Leipzig. Die zwei Männer lernten sich schon in ihrer Zeit im Krankenhaus kennen. Beide sind spät erblindet. „Wir dürfen auch nicht vergessen, wir haben ja noch unsere Mütter, die uns helfen“, sagt Sebastian Schulze. Er hat ein Gedicht verfasst, das sogar auf eines der Hemden gestickt wurde, die in der Modenschau fotografiert wurden. „Igel Pimm“ heißt es. Er bestätigt: „Das Projekt war ein tolles Erlebnis.“ Und am meisten beeindruckt war Karsten Hein, von dem, was eine blinde Frau zu ihm sagte: Er hätte ihr „das Gesicht zurückgegeben.“ Auch das Ziel, Berührungsängste abbauen zu können, sieht Initiator Hein erreicht.

45 Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Jeder Besucher kann die ausgestellte bestickte Kleidung betrachten - und betasten. Im Hintergrund läuft zusätzlich der Tonmitschnitt, der am Tag der Modenschau gemacht wurde. Und was man da hört, klingt nicht nur fröhlich, sondern ausgelassen.