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Kanuslalom Kanuslalom: Thomas Becker ist zurück

Von Petra Szag 23.12.2013, 22:19
Sie trainieren wieder: Thomas Becker (hinten) paddelt mit Robert Behling.
Sie trainieren wieder: Thomas Becker (hinten) paddelt mit Robert Behling. Eckehard Schulz Lizenz

Leipzig/MZ - Der Szenetreff ist rappelvoll. Mittendrin in dem angesagten Leipziger Straßencafé fühlt sich Thomas Becker wohl. Der 23-Jährige steht an den Tresen und nippt an seiner Fanta. Geschafft sieht er aus, der angehende Bundespolizist und Hochleistungssportler, wie man so aussieht nach einem langen Arbeits- und Trainingstag. Und doch wirkt er ruhig und ausgeglichen. Zufrieden darüber, dass ihn der ganz normale Alltagsstress wieder hat. „Es geht mir gut“, sagt Thomas Becker und lächelt dann still vor sich hin.

Chemo, Nichtstun, Ungewissheit

Das ist alles andere als selbstverständlich. Hinter dem gebürtigen Hallenser, der in Leipzig wohnt und für den Merseburger SV Buna Schkopau startet, liegen die wohl schwersten Monate seines jungen Lebens. Mit Chemos, Nichtstun und vor allem der quälenden Ungewissheit, wie seine Zukunft aussehen wird. Denn der Krebs hatte den zu den weltbesten Slalomkanuten zählenden jungen Mann im März brutal ausgebremst. Von Hundert auf Null musste er zurückrudern wegen eines bei ihm diagnostizierten B-Zellen Non Hotgkin Lymphoms, eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems. Für jemanden, der sich seit den frühesten Kindheitstagen voller Enthusiasmus dem Rausch der Geschwindigkeiten auf brodelndem Wasser hingibt, einen, der für seinen Sport lebt, die Höchststrafe.

Am Ende hat er sich dieser ganz pragmatisch gestellt. „Ich will das alles nicht so an mich heranlassen“, hatte Thomas Becker gleich gesagt. Der EM-Dritte von 2012 und Weltmeister der U23 ist damit in die Öffentlichkeit gegangen und hat es einmal laut angesprochen, um sich nicht immer wieder erklären zu müssen, warum er mit seinem Bootskollegen Robert Behling nicht um das WM-Ticket kämpft. Kein Getuschel, kein Mitleid. Thomas Becker wünschte sich, dass alle zu ihm sind wie immer.

Doch natürlich war nichts wie immer. Auch wenn sie alle versucht hatten, Normalität zu vermitteln. Die Eltern und Geschwister etwa, seine Freundin und natürlich auch sein Kumpel Robert Behling. Seit sie denken können, sitzen die beiden in einem Boot. In ihrem Zweiercanadier verstehen sie sich blind. Und auch sonst harmonieren sie prima. Mit einem anderen Kanuten diesen Sommer auf Medaillenjagd zu gehen, war Behling nie in den Sinn gekommen. Er hat sich fit gehalten, auf seine Ausbildung konzentriert und seinem Kumpel beigestanden. Wenn es Thomas Becker schlecht ging, war Robert Behling da. Ließ sich seine Ohnmächtigkeit gegenüber der vertrakten Krankheit nicht anmerken. Und er half dem Freund mit seinem ihm eigenen Humor, wieder auf die Beine zu kommen. „Hühnerbrust“, frotzelt er heute und spielt auf den enormen Muskelverlust seines Kumpels an. Das ist seine Art, Becker zum Training zu motivieren. Denn dessen gestählten Oberarme waren während der sechs Chemo-Einheiten im Nu verschwunden. Schneller als die Haare, die er erst mittendrin mit einem Mal verlor.

Längst sind sie nachgewachsen auf die altbewährte Länge. Nur ein bisschen heller scheinen sie nun. Graustich sagt Behling grienend. Man könnte auch sagen, er sei ein bisschen weiser geworden während dieser ganz besonderen Phase seines Lebens.

Und tatsächlich: Während dieser Zeit bekam Thomas Becker ein ganz neues Körpergefühl. „Ich habe immer nur in mich reingehorcht. Darauf gelauert, dass mir die Fingernägel ausfallen, ich hohes Fieber bekomme oder sonst irgendwas mit mir passiert“. Nichts von den ganz schlimmen Begleiterscheinungen ist eingetreten. Glücklicherweise. Anderen, das hat er bei seinen Klinikbesuchen gesehen, erwischt es viel ärger. Thomas Becker denkt, dass er diesen Umstand auch seiner ausgezeichneten Konstitution durch den Leistungssport verdankt. Mit Schmerzen umzugehen, hat er gelernt.

Jeden Tag ein bisschen mehr

Und auch was man tun muss, wenn die dunklen Gedanken kommen. Um sie aufzuhellen, ist der Naturbursche zwischendurch auch mal ins Boot geklettert.

Für Außensehende mag das nach Unvernunft klingen. Doch wenn Thomas Becker eines nicht ist, dann ist das unvernünftig. Geduld gehört zu seinen Stärken. Dazu kommt ein eiserner Wille und der Vorsatz, nichts falsch machen zu wollen. Als sein Arzt ihm im Oktober gesagt hat, dass seine Untersuchungsergebnisse in Ordnung seien, hatte Becker seinen Trainer Felix Michel mitgenommen. Über alle Eventualitäten wurde gesprochen.

Sein Wiedereinstieg in den Leistungssport ist wohldurchdacht. Und auf Langfristigkeit ausgerichtet. Die Belastung wird Stück für Stück erhöht. Jeden Tag trainiert er ein bisschen länger. Und wenn die besten Kanuten Deutschlands im Februar in Sydney im Trainingscamp dem Sommer entgegenpaddeln, hofft er wieder ganz der Alte zu sein. Dann kann sich die Konkurrenz warm anziehen.