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  7. Jugendkriminalität in Halle nimmt zu: Gewalt unter Jugendlichen Thema im Stadtrat

Gewalt unter Jugendlichen Jugendkriminalität in Halle hört nicht auf: Was Polizei und Stadt jetzt tun wollen

Die Fälle von Raub- und anderen Straftaten unter Jugendlichen steigen wieder an. Welche Maßnahmen Polizei, Lehrer und Politiker in Halle jetzt ergreifen.

Von Jonas Nayda und Tanja Goldbecher Aktualisiert: 29.12.2022, 19:04
Baseballschläger – wie auf diesem Symbolbild – waren zwar nicht im Einsatz, aber die Gewalt unter Jugendlichen in Halle hält weiter an.
Baseballschläger – wie auf diesem Symbolbild – waren zwar nicht im Einsatz, aber die Gewalt unter Jugendlichen in Halle hält weiter an. (Foto: Steffen Schellhorn)

Halle (Saale)/MZ - Die Gewalt unter Jugendlichen in Halle wird zu einem immer größeren Problem. Die Polizei registriert seit einigen Wochen wieder mehr Fälle, und die Täter scheinen immer dreister zu werden. Zuletzt gab es in Neustadt sogar einen Raubüberfall am helllichten Tag, bei dem ein 13-Jähriger mutmaßlich von fünf anderen Jungs attackiert wurde. Noch kurz vor den Ferien hatten Lehrer teilweise außerordentliche Maßnahmen ergriffen, um ihre Schüler zu schützen. Die Stadtpolitik reagiert auch. Im neuen Jahr soll es eine Sondersitzung geben.

Jugendkriminalität in Halle: Mehr Fälle im Dezember

Die im Frühjahr 2022 eigens für den Bereich Jugendkriminalität gegründete Ermittlungsgruppe der halleschen Polizei hat viel zu tun. Insgesamt gab es schon mehr als 300 Fälle. 137 Verfahren wurden in den vergangenen vier Monaten bearbeitet, die meisten davon im September.

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Dabei handelt es sich laut Polizei nicht ausschließlich nur um Raubstraftaten, sondern beispielsweise auch um Körperverletzungen, Bedrohungen oder andere Delikte der Straßenkriminalität. Und die Fallzahlen steigen: Im Vergleich zum verhältnismäßig ruhigen November mit nur 20 neuen Fällen gab es alleine bis zum 28. Dezember schon 24 weitere Ermittlungsverfahren.

Jugendlicher in Halle am hellichten Tag ausgeraubt

Eine Tat sticht besonders heraus. Wie die Polizei bestätigt, wurde am vergangenen Dienstag gegen 15.15 Uhr ein 13-jähriger Junge in der Neustädter Passage aus einer Gruppe von sieben anderen Jungs heraus angesprochen. Die Täter, alle anscheinend zwischen 9 und 13 Jahren alt, zumeist schwarz gekleidet und offenbar mit Migrationshintergrund, forderten Kopfhörer und weitere persönlichen Sachen von dem 13-Jährigen.

Schließlich griffen sie ihn an, verletzten ihn und flohen dann unerkannt mit ihrer Beute. Das Opfer kam zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus, die Ermittlungen dauern noch an.

Gewalt unter Jugendlichen in Halle: Zahlreiche Ermittlungsverfahren

Ähnliche Vorfälle hatte es in den vergangenen Monaten häufiger gegeben. Meistens waren die Täter männlich, selbst noch minderjährig, häufig besaßen sie Migrationshintergrund und fast immer richtete sich die Gewalt aus Gruppen heraus gegen Gleichaltrige.

Mehr als 100 Tatverdächtige hat die Polizei bereits gezählt. Egal, wie alt die Täter oder ob sie strafmündig sind, leite die Polizei grundsätzlich immer ein Ermittlungsverfahren ein, sagt Michael Ripke, Pressesprecher der Polizeiinspektion. Wie viele Personen in dem Zusammenhang bereits vernommen oder gar bestraft wurden, ist jedoch unklar, dazu könne keine belastbare Aussage gemacht werden, heißt es.

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Nach MZ-Informationen hatten einige Lehrer kurz vor den Weihnachtsferien an ihren Schulen besondere Sicherheitsmaßnahmen eingeführt. Teilweise begleiteten sie Kinder vom Klassenzimmer bis zum Bus und warteten, bis sie eingestiegen waren, so dass sie zu keiner Zeit unbeaufsichtigt waren.

Jugendgewalt in Halle: Polizei steht vor Schulen

Neben der neuen Ermittlungsgruppe hat die Polizei auch diverse andere Maßnahmen ergriffen. So stehen beispielsweise speziell geschulte Beamte als Ansprechpartner für alle Schulen bereit. Sie halten auch Vorträge, um Gewalt schon zu bekämpfen, bevor sie entsteht.

Immer wieder gab es auch gemeinsame Streifen von Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeitern vor Schulen. Zumindest wenn ein Polizeiauto in Sichtweite ist, dürfte sich dadurch das Sicherheitsgefühl einiger Schüler erhöht haben. Es werden aber in verschiedenen Bereichen auch Zivilbeamte eingesetzt.

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Jugendkriminalität: Sondersitzung in Halle geplant

Die Jugendkriminalität beschäftigt auch die Stadtpolitik. Nachdem im vergangenen Sommer noch die Erstellung eines neuen städtischen Sicherheitskonzeptes abgelehnt wurde, soll es nun bald eine Sondersitzung geben, an der neben Stadträten und Stadtverwaltung auch Lehrer, Polizisten und Streetworker teilnehmen sollen.

Bildungsausschussvorsitzende Claudia Schmidt (CDU), die die Sondersitzung gemeinsam mit Detlef Wend (Mitbürger & Die Partei) organisiert, appelliert an alle Verantwortlichen. „Wir müssen handeln. Wir können unsere Jugend nicht sich selbst überlassen“, sagt sie. Jugendliche hätten Angst vor Übergriffen und Gewalt. Aber auch Eltern müssten sensibilisiert werden, „wenn wiederholt Geld, Handy, Markensachen ’verloren’ gehen oder plötzlich neue Dinge da sind“.

Einigen Täter sei offenbar auch gar nicht bewusst, dass „Abziehen“ oder Gewaltandrohung keine Jugendstreiche seien, sondern ernsthafte Straftaten.

Detlef Wend, Vorsitzender des städtischen Jugendhilfeausschusses, legt ebenfalls große Hoffnungen in den gemeinsamen Termin. „Verdichtung von sozial schwachem Milieu und Migration wie zum Beispiel in Halle-Neustadt und deren Vernachlässigung ist der Nährboden für zunehmende Jugendkriminalität, die dringend einer Reaktion bedarf“, sagt er auf MZ-Anfrage. Der gemeinsame Ausschuss solle klären, was die Stadt, das Land und die Zivilgesellschaft akut und langfristig leisten können, um die „beunruhigende Situation“ zu verbessern.

Die öffentliche Sondersitzung soll am 16. Februar stattfinden, der Ort steht noch nicht fest.