Halle Halle: Sehnsucht ist stärker
Halle (Saale)/MZ. - "Sie haben Angebote zu Beratung und Unterstützung angenommen und ihr Kind zurückgeholt", sagte am Dienstag Sozialdezernent Tobias Kogge. Er hatte am Vortag darüber informiert, dass vor knapp drei Wochen ein drei- bis vier Monate altes Baby im Babynest gefunden wurde, dessen Eltern nun dringend gesucht werden.
Durchaus höher als bei der Babyklappe, nämlich bei 50 Prozent, liegt nach Angaben von Gabriele Koch vom Caritasverband die Zahl derer, die sich nach einer anonymen Geburt dazu entscheiden, ihre Identität preiszugeben. Gabriele Koch ist in Halle zuständig für eine Frauenschutzwohnung, die die Stiftung "Netzwerk Leben" eingerichtet hat. "Hier können Frauen vor und nach der Geburt unerkannt leben und zur Entbindung anonym ins Elisabeth-Krankenhaus gehen", sagt sie. Meist seien es solche, die nicht aus Halle kommen, Hallenserinnen würde man in entfernteren gleichartigen Einrichtungen unterbringen, um die Anonymität sicherzustellen. "Die Betroffenen wollen ja nicht auf der Straße erkannt werden", sagt sie. Als Gründe, die Frauen veranlassen, ihr Kind anonym zur Welt zu bringen, nennt Gabriele Koch in erster Linie Probleme in der Partnerschaft, danach finanzielle und den Wunsch, die Familie möge nichts von der Schwangerschaft erfahren.
Zahlen für anonyme Geburten gibt weder das Krankenhaus noch das Netzwerk bekannt - "um die zugesagte Anonymität nicht zu gefährden", wie Netzwerk-Geschäftsführer Reinhard Grütz erklärt. Auch im Kröllwitzer Uni-Klinikum besteht die Möglichkeit, anonym zur Entbindung zu kommen - Zahlen nennt man auch hier nicht.
Anonym geborene Kinder hätten es im Leben oft schwer, weil viele von ihnen belaste, dass sie vergeblich nach ihrer Herkunft und Identität suchen, sagt Jugendamtsleiterin Katharina Brederlow. Sie wünscht sich, dass Mütter in Notlage, die ihr Baby nicht behalten können oder möchten, sich zur offenen Adoption entscheiden. "Die Kinder können umsorgt in einer Familie aufwachsen und später erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind." Frauen in Not können sich ans Jugendamt oder verschiedene Beratungsstellen wenden.