Halle/Saalekreis Halle/Saalekreis: Wo eingeschleppte Pflanzen sind, wächst kein Gras mehr
Halle (Saale)/MZ. - Was für Namen, man könnte Gedichte aus ihnen formen! Schmalblättrige Ölweide, spätblühende Traubenkirsche, beifußblättrige Ambrosie, sparrige Zwergmispel - ach, klingt das nicht wunderschön? Klingt das nicht nach Sommer und Sonne, nach Blütenduft und Bienengesumm? Denkste!
Wenn Katrin Schneider diese Namen hört, dann läuten bei ihr die Alarmglocken. Genau wie bei der Kartoffelrose und der Schwarzkiefer, dem Schmetterlingsflieder und dem drüsigen Springkraut.
Eines nämlich haben all diese Pflanzen gemeinsam: Es sind invasive Neophyten. Bitte, was?
Als Neophyt bezeichnet der Biologe eine Pflanze, die durch menschlichen Einfluss in ein Gebiet gekommen ist, in dem sie eigentlich nicht einheimisch ist. Klingt nicht schlimm, ist es auch nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich. Schlimm wird es, wenn die Neophyten auch noch invasiv sind, soll heißen: wenn sie die einheimischen Gewächse mit Macht verdrängen.
Und das tun sie, die Pflanzen mit den klingenden Namen. Nahe des Holzplatzes, einen Steinwurf von der Genzmer Brücke entfernt, marschiert Katrin Schneider zielstrebig ans Saaleufer. Da steht er, der Staudenknöterich, noch so ein invasiver Neophyt. Und wuchert, was das Zeug hält.
Das Grünflächenamt hat kürzlich die Böschung gemäht. Katrin Schneider zeigt hierhin und dorthin: Überall sprießt er schon wieder, der Knöterich. Mähen hilft da gar nichts. Man muss die Pflanzen ausgraben. Dumm nur, dass der Staudenknöterich seine Wurzeln bis zu vier Meter tief in die Erde gräbt.
Ein paar Meter weiter blüht es gelb. Wieder ein Neophyt, diesmal die Goldrute. Sieht hübsch aus, aber wo sie ist, da wächst kein Gras mehr, im wahrsten Wortsinn.
Erst die Pflanze, dann das Tier
Na und?, mag man sagen. Wenn das eine nicht mehr wächst, wächst eben was anderes. Das Problem, sagt Katrin Schneider, ist folgendes: Indem sie angestammte Gewächse verdrängen, können die eingeschleppten Arten das gesamte heimische Natursystem verändern. "Es gibt sehr komplexe Anpassungen von Tieren - die können sich nicht einfach auf eine neue Art einstellen", so die Biologin. Mit anderen Worten: Erst wird eine einheimische Pflanze verdrängt - und dann das Tier, das von ihr lebt.
Wer wissen will, wie groß das Problem ist, kann auf die Internet-Seite von "Korina" gehen. Korina steht für "Koordinationsstelle invasive Neophyten in Schutzgebieten Sachsen-Anhalts". Sie ist dem halleschen "Unabhängigen Institut für Umweltfragen" angegliedert, wo wiederum auch Katrin Schneider arbeitet.
Auf der Korina-Seite findet man einen "Atlas", in dem sage und schreibe 150 invasive Neophyten aufgelistet sind. Man kann eine Art anklicken und sieht dann auf einer Karte, wo die Pflanze in Sachsen-Anhalt vorkommt.
Natürlich ist auch der vielleicht berühmteste Neophyt dabei: der Riesen-Bärenklau. An ihm kann man die Gefahren der eingeschleppten Pflanzen besonders deutlich machen, denn der Riesen-Bärenklau kann beim Menschen schon bei einfacher Berührung zu starken Hautverbrennungen führen.
Er ist auch ein klassische Beispiel dafür, dass das Problem ein von Menschen gemachtes ist. Über Jahre wurde das Gewächs als Nektarpflanze für Bienen angepflanzt. Das ist das Problem: Viele Neophyten wurden zunächst ganz normal in Gartencentern verkauft. Der Gartenfreund freute sich am schnellen Wuchs - bis die Pflanze ihm quasi über den Kopf wucherte. "Manche reißen sie dann aus und werfen sie in den Wald", sagt Katrin Schneider. Warum auch nicht? Ist ja Natur.
Botaniker sehen die Probleme, die durch invasive Pflanzen entstehen, bereits seit den 1970er Jahren. Ins allgemeine Bewusstsein gelangen sie aber erst seit kurzer Zeit.
Experiment mit Folgen
Vielleicht liegt es auch daran, dass uns die Pflanzenwelt nicht so nahe ist? Aus der Tierwelt kennt man seit Langem dramatische Invasions-Fälle: Negative Berühmtheit erlangten jene Ziegen und Schweine, die von Menschen gedankenlos auf den Galapagos-Inseln ausgesetzt wurden - und die dort den Riesenschildkröten die Nahrung streitig machten - so sehr, dass die Schildkröte heute fast ausgestorben ist. Und im afrikanischen Victoriasee wurden vor einigen Jahren exakt 35 Nilbarsche ausgesetzt. Man wollte wissen, ob sich die Fische den fremden Lebensbedingungen anpassen können. Sie konnten es - und wie! Bis heute haben sie dort etwa 200 Arten verdrängt.
Ein Ende der Flora-Invasion ist indes nicht in Sicht. Immer wieder greift der Hobbygärtner bei neuen exotischen Gewächsen zu. Katrin Schneider würde es schon reichen, wenn man mehr Misstrauen an den Tag legt. Misstrauen gegen alle Pflanzen, für die mit den Worten "wächst schnell" oder "bedeckt schnell Flächen" geworben wird.
Aber Katrin Schneider weiß: "Heute werden Arten verkauft, die demnächst Probleme bereiten."