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Halle/Saalekreis Halle/Saalekreis: Älter als die Thomaner

Von Anja HEROLD 13.04.2012, 18:29

Halle (Saale)/MZ.. - Auch Halle kann glänzen! Im Guinnessbuch der Rekorde, Ausgabe 1992, ist es nachzulesen: der "älteste weltliche Kinderchor der Welt" ist der Stadtsingechor. Darüber kann man streiten. Aber so oder so, schlägt er an Jahren sogar die Leipziger Thomaner. In vier Jahren feiert Halles Knabenchor sein 900-jähriges Bestehen. Einen Einblick in seine Geschichte gibt jetzt eine Kabinettausstellung in der Kulissenbibliothek der Franckeschen Stiftungen. Die Schau ist ein reizvoller Auftakt für die große Jahresausstellung der Stiftungen zum Thema der protestantischen Musikkultur seit Martin Luther.

Erstmals erwähnt wurde der Chor bereits im Jahr 1116. Damals gehörte er zum Augustinerkloster Neuwerk, das hinter dem Gelände des Botanischen Gartens stand. Die Schüler hatten - früher war eben doch nicht alles besser - für ihren Unterhalt selbst zu sorgen. Sie sangen dafür auch auf der Straße, bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Ihre Hauptaufgabe war freilich die musikalische Ausgestaltung der Gottesdienste in Halle, die Dienstleistung des Kurrendesingens aber war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Einnahmequellen des Chores.

Ein Gesetz von 1934, das das Sammeln von Geldspenden regelte, sorgte dafür, dass 1938 die Gesänge außerhalb kirchlicher Räume nur noch weltlicher Natur zu sein hatten. Im Paulusviertel gar wurde im April '38 ein Straßensingen kurzerhand untersagt, drei Jahre vor dem endgültigen Verbot. Überhaupt, jene unselige Zeit: Sie sorgte dafür, dass zum ersten und einzigen Mal Mädchen im Chor zugelassen wurden. Flakhelferdienste und Kinderlandverschickung hatten die Zahl der Sänger arg dezimiert. Es sind diese kleinen Informationen, die diese Schau so sehenswert machen. Ein Stundenplan von 1759 - der Chor gehörte seit 1565 zum lutherischen Gymnasium, das an der Stelle des heutigen Löwengebäudes stand - beispielsweise belegt, dass die Chorschüler morgens an der Schultür zu singen hatten. Briefe und Fotos sind zu sehen, Zeitungsausschnitte dokumentieren das Ansehen der Hallenser. "Alle Darbietungen verrieten höchste Chorkultur", verkündete einst der Stralsunder Anzeiger.

Und dann ist da noch das liebe Thema Geld. Die Exposition hätte auch "Der Stadtsingechor und seine Finanzprobleme" heißen können, sagt Kuratorin Anke Mies. So wurden 1802 noch ganze zwölf Mitglieder gezählt, die Finanznot forderte auch am Lutherischen Gymnasium ihren Tribut. Und für den ersten Chordirektor in Stiftungstagen, Daniel Gottlob Türk, war laut Chorbuch offiziell nicht mal ein Gehalt vorgesehen. Apropos Stiftungen: Nachdem das Gymnasium 1808 geschlossen wurde, bemühte sich der damalige Direktor August Hermann Niemeyer um die Eingliederung des Chores. Er musste sich anstrengen, "Singechöre gehören mitunter zu den verderblichen Einrichtungen", verwahrloste Kinder und Jugendliche seien dort zu finden, rohe Sitten würden herrschen, befand Niemeyer. Aber es wuchs zusammen, was offenbar zusammengehört. Heute widmen sich 75 Sänger vor allem der Pflege geistlicher Chormusik.

Die Ausstellung im Haus 22 der Stiftungen ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.