Halle Halle: Mutter-Kind-Kuren im Trend
Halle (Saale)/MZ. - Überfordert vom Alltag, zermürbt von jahrelanger Doppelbelastung, aus der Bahn geworfen nach Trennung oder Trauerfall. Mütter und Väter können mit ihren Kindern in Mutter- oder Vater-Kind-Kuren Abstand gewinnen und schaffen danach vielleicht einen Neuanfang. Doch bislang scheiterten viele an den Krankenkassen, die einen Großteil der Anträge nicht bewilligten. Auch in Halle lagen die Ablehnungsraten bei etwa einem Drittel. Nach einem kritischen Bericht des Bundesrechnungshofs vom Juni 2011 wurden im Februar die Richtlinien zur Bewilligung von Kur-Anträgen reformiert, was auch kurwilligen Eltern in Halle zugute kommen könnte.
Heike Johannsen (Name geändert) hat da schon so einiges hinter sich. Die 35-jährige Mutter zweier Kinder hat vor anderthalb Jahren ihren Uni-Abschluss gemacht. "Schon damals ist mir alles über den Kopf gewachsen. Die lange Jobsuche danach hat mich noch zusätzlich belastet. Das ging bis hin zu depressiven Schüben", sagt sie. Nun kümmert sie sich um eine Kur und hofft, dass nun alles schneller geht.
Johannsen ist ein typischer Fall. Erschöpfungssymptome, Schlaflosigkeit oder depressive Verstimmungen sind häufige Anlässe, über eine Mutter-Kind-Kur nachzudenken. "Es gibt da auch kein besonderes Milieu", sagt Marie-Luise Furgber von der Kurberatungsstelle der Caritas Halle. "Von der Ärztin bis zur Hartz-IV-Empfängerin ist alles dabei." Trotzdem gehe der Trend immer mehr zu berufsbezogenen Krankheiten. "Die Fälle von Burnout haben in den letzten Jahren sehr zugenommen", sagt Furgber. Das bestätigt auch Rainer Kleibs, Landesgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK): "Früher hatten wir mehr leichte Erschöpfungen, heute vor allem schwere - die Mütter kommen heute kränker zu uns."
Das DRK hat ebenfalls eine Beratungsstelle in Halle und betreibt gleichzeitig Sachsen-Anhalts einzige Kurklinik für Mutter-Kind-Kuren in Arendsee. Die neue Richtlinie für die Krankenkassen zeigt nach Kleibs' Beobachtungen bereits Wirkung. "Eine Veränderung ist durchaus spürbar. Die Krankenkassen nehmen von ihrer rigiden Haltung Abstand." Bei der Caritas beobachtet man ähnliches: "Die Krankenkassen haben jetzt nicht mehr so viel Spielraum bei der Bearbeitung der Anträge", so Furgber. "Voriges Jahr hatten wir bei 90 Anträgen noch 37 Ablehnungen, dieses Jahr erst wenige."
Der Grundsatz "stationär vor ambulant" sei bei Mutter-Kind-Kuren gesetzlich verankert, erklärt Anke Brzóska von der evangelischen Beratungsstelle der Jugendwerkstatt Bauhof. Damit ein Antrag Erfolg hat, müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: "Wichtig ist das Attest des Arztes. Das sollte präzise formuliert sein und Art und Verlauf der Beschwerden darstellen", so Brzóska. Auch eine vorherige Beratung sei hilfreich.
Die Krankenkassen begrüßen offiziell die neue Richtlinie. Claudia Szymula, Pressesprecherin der Barmer GEK Sachsen-Anhalt, weist eine überhöhte Ablehnungsrate in der Vergangenheit zurück: "Für unseren Bereich hatten wir 2010 bundesweit eine Bewilligungsquote von 65,3 Prozent. Schon bisher wurde also mehr als jeder zweite Kurantrag bewilligt." Man wolle zudem daran festhalten, den Kunden auch ambulante Maßnahmen wohnortsnah anzubieten. "Ergänzende Angebote sind wichtig. Oft müssen die Lebensumstände umgestellt werden. Dabei hilft eine Kur, doch entscheidender ist, auch zu Hause an den Problemen zu arbeiten. Damit sind wir aber nicht gegen Mutter-Kind-Kuren."
Für Heike Johannsen und ihre Kinder soll die Kur noch vor dem Sommer losgehen, aber einen Bescheid hat sie noch nicht. Von ihrer Kur erhofft sie sich einerseits Erholung, andererseits neue Ansätze für ihren Alltag. "Ich will einmal wegkommen von den Alltagssorgen, mich einmal nur mit mir beschäftigen können, denn das schaffe ich im Alltag nicht." Entspannen und genießen lernen sei für sie wichtig. "Das ist in meinem Fall richtige Arbeit, denn im Alltag verbaue ich mir alles, was mir gut tut. Darauf wird auch der Therapiefokus liegen."