Halle Halle: Das Rätsel «Tripperburg»
Halle (Saale)/MZ. - Wurden in den 70er Jahren Frauen in Halle willkürlich in eine geschlossene Abteilung für Geschlechtskrankheiten des städtischen Bezirkskrankenhauses eingeliefert? Wurden an ihnen medizinische Experimente durchgeführt und wurden sie dort unter Zwang als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi angeworben?
Das berichten zumindest zwei Zeitzeuginnen, die 1974 und 1976 in der im Volksmund "Tripperburg" genannten geschlossenen Abteilung zwangseingewiesen wurden, ohne dass sie tatsächlich an einer Geschlechtskrankheit gelitten hätten.
Untergebracht war die Abteilung in der früheren Poliklinik Mitte in der Kleinen Klausstraße. In einem Forschungsprojekt, das die Stasi-Unterlagenbehörde in Magdeburg in Auftrag gegeben hat, werden diese ungeheuerlichen Vermutungen jetzt wissenschaftlich untersucht.
So soll eine der beiden Hallenserinnen unter dem Vorwand, in ein Mutter- und Kind-Heim gebracht zu werden, von einer angeblichen Mitarbeiterin des städtischen Sozialamtes in die geschlossene Abteilung gebracht worden sein. Missliebig war sie den Behörden nach einer Anzeige gegen einen Polizisten wegen versuchter Vergewaltigung geworden.
Sechs Wochen lang, so ihre Schilderung, sei sie in der geschlossenen Abteilung festgehalten worden, dabei mehrfach gynäkologisch untersucht und mit Spritzen behandelt worden, die zu extremen Kopfschmerzen und Lähmungen in den Beinen geführt hätten. Später brachte sie ein behindertes Kind zur Welt - ebenso wie die zweite Zeitzeugin nach dem Zwangsaufenthalt in der Klinik.
"Für uns ist interessant, welchen Einfluss die Stasi hier hatte", sagt Christoph Koch, stellvertretender Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen. In einer seiner Beratungsstunden in Halle sei er über eine Betroffene auf das Thema aufmerksam geworden.
Eine frühere Patientin behauptet auch, dort unter Druck eine Erklärung als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi unterschrieben zu haben: "Auch ihre Akte haben wir bei der Unterlagenbehörde für das Forschungsprojekt angefordert", so Koch.
Schon zu DDR-Zeiten, so Heidi Bohley vom Verein "Zeitgeschichten", hat es bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen den Leiter der geschlossenen Abteilung gegeben. Sie liegt dem Verein vor: Einer Patientin ist 1962 der Kopf zur Disziplinierung kahlgeschoren worden - was kein Einzelfall war.
Auch die Hausordnung der Abteilung enthält menschenverachtende Punkte: Weitere Disziplinarmaßnahmen waren die Nachtruhe auf einem Hocker statt im Bett. Der Leiter verteidigte dies damals in einem Schreiben: "Wir müssen recht und schlecht mit diesem Personenkreis, zumeist asozial, fertig werden."
Eine Vermutung sei auch, dass die Stasi in dieser geschlossenen Abteilung Hostessen für die Leipziger Messe ausgewählt haben könnte. "Das ist ein Bereich, der sehr schambehaftet ist und für den wir deshalb wenig Zeitzeuginnen finden", so Koch. Doch nur über Namen kann die Untersuchung Erfolg haben, da die Stasi-Akten nicht nach Sachgebieten, sondern nach Namen abgelegt sind.
Allerdings ist die Aktenlage in anderen Archiven sehr dünn: Julia Pohl, die mit der Erforschung beauftragt ist, hat nur einige wenige Dokumente gefunden und die beiden Zeitzeuginnen befragt. "Weder in den Archiven in Halle noch in Magdeburg habe ich bislang Unterlagen gefunden", so die 24-Jährige, die ihr Geschichtsstudium gerade abschließt.
Sie hofft darauf, dass sich noch weitere Zeitzeugen melden, damit das Rätsel der "Tripperburg" einmal gelöst werden kann. Denn auch das Archiv des Gesundheitsamtes Halle existiert nicht mehr - nach einem Aktenstück im Stadtarchiv sollen die Akten 1991 bei einem Wasserrohrbruch vernichtet worden sein.
Betroffene können sich melden beim Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen: [email protected] oder telefonisch unter 0391 / 5 67 50 51