Gottesdienst im Arbeiterpalast
Halle/MZ. - In diesem Gebäude vor der Wende? "Niemals", heben Leo Banonier und Wolfgang Nowak lachend ihre Hände. Es wäre undenkbar gewesen, sagen sie, dass ein Gottesdienst zu DDR-Zeiten in einer Arbeiterkultstätte wie dem Volkspark stattfindet.
Genau das passierte aber im Mai 1995, als die Evangelische Allianz, ein Zusammenschluss verschiedener freier Kirchen und Gemeinden, erstmals ihre Pro-Christ-Veranstaltung in Halle ausrichtete.
Prochrist - das ist ein per Satellit vernetzter Gottesdienst, der alle zwei bis drei Jahre die Christen aus ganz Europa verbindet. "Wir wollen damit Menschen zu Gott führen, die sonst keine Bindung mehr zu ihrer Kirche haben", sagt Leo Bankonier als Baptist und ehemaliger Gemeindeleiter der evangelischen Allianz in Halle. Wie sich der 71-Jährige noch gut und gern erinnert, hat der damalige Oberbürgermeister Klaus Rauen schnell seine Unterstützung zugesagt. Er habe die Schirmherrschaft für Pro Christ in Halle übernommen und den Großen Volksparksaal kostenlos zur Nutzung zur Verfügung gestellt.
Bankonier: "Wir waren baff." Über Jahrzehnte mussten auch die Christen freikirchlicher Prägung in der DDR ein Schattendasein führen. "Auf einmal hatten wir freie Hand, durften sogar in eigener Sache werben". Plakate, Handzettel, ein großer Straßen-Überspanner in der Rathausstraße und ein riesengroßer Luftballon luden zum multimedialen Glaubenserlebnis in den Volkspark ein. Dort wurden - supermodern nach damaligem Entwicklungsstand - eine Satellitenschüssel und ein Bildprojektor installiert, um die Großveranstaltung live aus Leipzig mit Pfarrer Ulrich Parzany zu übertragen. "Die Kosten für die Technik wurden allein durch Spenden aufgebracht", unterstreichen Nowak und Bankonier. Als die Sitze im Volkspark ausgingen - über 400 Besucher kamen - haben sie noch Stühle aus der Eissporthalle holen müssen.
Neben der Videowand stand links der Bühne auch ein vier Meter hohes Holzkreuz, zu dem sich eine nette Episode erzählen lässt. Leo Bankonier hatte es nicht nur zum Volkspark getragen, sondern als geübter Heimwerker auch selbst gebaut. Als er dazu in einem Baumarkt sein Vorhaben erklärte, brachte die Verkäuferin etwas durcheinander. "Sie bot mir Kreuzholz an", lacht Bankonier und erklärt, dass Kreuzholz natürlich nichts mit Holzkreuz zu tun hat. Das Kreuzholz ist ein Kantholz, das seinen Namen nur erhalten hat, weil es kreuzförmig aus einem Baumstamm geschnitten wurde.
Noch heute gibt es Bankoniers Holzkreuz. Jährlich wird es zu Christi Himmelfahrt vor Halles Rathaus aufgestellt, wenn die Freiluftgottesdienste der evangelischen Allianz stattfinden.