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Glocken läuten die Kirchennacht ein

Von Heidi Pohle 21.08.2005, 16:20

Halle/MZ. - Bruder Martin hates eilig. Kurz vor 20 Uhr steuert der Franziskaner in brauner Kutte raschen Schrittes die Kirche Zur Heiligsten Dreieinigkeit in der Liebenauer Straße an, um sie aufzuschließen; die ersten Besucher warten bereits. Dann ist es höchste Zeit, das Glockengeläut in Gang zu setzen - dort wie in 44 anderen Gotteshäusern das Zeichen, dass die Nacht der Kirchen begonnen hat.

Da ist es fast Tradition, dass Bruder Martin anbietet, mit ihm unter das Dach der 1930 erbauten Kirche zu steigen. Von oben, schwärmt er, könne man erst so richtig die für damalige Verhältnisse moderne Bauweise erfassen. Derweil singt unten der Kirchenchor, die Besucher stimmen mit ein. Und zu mitternächtlicher Zeit finden sich etliche Mutige, die mit Friederike Burkhardt, der Organistin, Kreistänze aus der Folklore wagen.

Die Nachricht, dass die Kirche St. Hedwig in Radewell zum letzten Mal vor dem Verkauf besichtigt werden kann, zieht ganze Scharen an. Darunter Leute, die in der Nachbarschaft wohnen, aber noch nie in der 1901 erbauten katholischen Kirche waren. Anna Schneider hat Brote gemacht, bietet Getränke im Hof an. Der 63-Jährigen ist das Herz schwer bei dem Gedanken, dass in St. Hedwig bald keine Gottesdienste mehr stattfinden: "Meine drei Kinder sind hier getauft worden." Da hilft es wenig, wenn ihr die Leute sagen, wie schön die Kirche noch immer ist; der Gemeinde fehlt nun mal Geld, um sie sanieren zu lassen. Am 16. Oktober wird es den letzten Gottesdienst geben.

Einer Pilgerstätte gleicht auch die Pauluskirche. Gerade hat Pfarrer Wolfgang Kleemann nach einer Orgelmusik wieder begonnen, Namen von in der Kirche Getauften vorzulesen. Jahrgang 1909 ist an der Reihe, begonnen hat er mit 1903, dem Einweihungsjahr der Kirche. Andächtig hören Jutta und Hans-Joachim Krause zu. Beide sind im Paulusviertel aufgewachsen, lebten lange dort. "Da kennt man noch diesen oder jenen Namen", sagt Frau Krause, die gehofft hatte, auch ihren Taufnamen - Jutta Petroll - zu hören. Doch das Jahr 1926 werde der Pfarrer wohl nicht mehr schaffen, vermutet das Paar gegen 22 Uhr; die Idee sei jedoch ebenso toll wie die Tatsache, dass so viele junge Leute unterwegs sind in der Kirchennacht.

Auch am Bartholomäusberg. Dort strahlt Lichterglanz - die Wege, die zum Eingang der Kirche führen, säumen in Seidenpapier gehüllte Teelichter. Von dieser Kulisse lassen sich René und Tanja Sänger gern verzaubern. "Wir kommen zwar immer nur zur Kirchennacht", bekennt der junge Mann, "aber das mit wachsender Begeisterung." Kerzenbestückt ist auch der Taufstein der Kirche, die gerade saniert wird. Dort führen Mitglieder einer christlichen Gemeinschaft, der evangelischen Geschwisterschaft aus der Wegscheiderstraße, ein Stück auf, das in der heutigen Zeit spielt und "Vom Regen in die Taufe" heißt. Im Kirchen-Café stärken sich derweil die "Pilger" mit Basilikumsuppe, Speck- oder süßem Kuchen - alles von Gemeindemitgliedern gekocht und gebacken -, um sich auf den Weg zur nächsten Kirche zu machen. Zum Beispiel nach Bennstedt wie Gernot Schneider. In der kleinen Dorfkirche hat der Hallenser nur einen Wunsch - die über 200 Jahre alte Orgel zu spielen. Was ihm gerne gestattet wird.