Glanzvolle Vergangenheit Glanzvolle Vergangenheit: Kaufhaus Lewin war ein berühmter Konsumtempel

Halle (Saale) - Halles Stadtbild ist reich an interessanten Bauten, die auch heute noch teilweise als Kaufhäuser genutzt werden. Viele davon waren, historisch begründet, in jüdischer Hand. Denn, so Cornelia Zimmermann, Kuratorin im halleschen Stadtmuseum, Vorsitzende des Freundeskreises Leopold-Zunz-Zentrum und Autorin zahlreicher Werke zum Thema jüdisches Leben in Halle, seitdem die Stadt nach dem Wiener Kongress seit 1815 zur preußischen Provinz Sachsen gehört, leidet sie nach der westfälischen Besetzung und den Befreiungskriegen wegen der Tilgung von Kriegsschulden unter Geldmangel.
Finanzielle Mittel erhofft man sich unter anderem durch Schutzbriefabgaben durch die ortsansässige jüdische Bevölkerung. Daher fördert der hallesche Magistrat die Ansiedlung kapitalkräftiger jüdischer Familien. Die Folge: Zahlreiche Kaufleute, Händler und kleine Fabrikanten beantragen das Bürger- und Niederlassungsrecht, um ein Geschäft zu eröffnen.
Gleichberechtigte Anerkennung als Bürger der Stadt
Mit der Reichsgründung 1871 haben jüdische Zugezogene dann die gleichberechtigte Anerkennung als Bürger der Stadt. Zwei Jahrzehnte später rückt Halle mit 100.000 Einwohnern in die Reihe deutscher Großstädte auf, und die zu dieser Zeit 660 in der Stadt lebenden jüdischen Einwohner haben am wirtschaftlichen Aufstieg Halles einen nicht unwesentlichen Anteil.
Zeichen des Aufschwungs sind zahlreiche städtebauliche Veränderungen, durchgesetzt dann vor allem von Halles Oberbürgermeister Richard Robert Rive, der Halles Markt Mitte der 1920er Jahre umgestalten und neu bebauen lässt - damit wächst auch das Interesse am Thema Handel und Einkauf.
1859 eröffnet Julius Lewin am Markt 4 seine Konfektions-, Seiden-, Leinen- und Baumwollwarenhandlung
Doch schon früher, Mitte des 19. Jahrhundert, hält das Warenhaus als neue Form des Einkaufens Einzug in die Saalestadt. Aus ehemals kleinen Geschäften und Läden entstehen Kaufhäuser, die jüdische ebenso wie nichtjüdische Eigentümer haben. Eines der bekanntesten und auch imposantesten jüdischen Warenhäuser ist das Kaufhaus Lewin.
1859 eröffnet Julius Lewin am Markt 4 seine Konfektions-, Seiden-, Leinen- und Baumwollwarenhandlung, die sich binnen kurzer Zeit zum größten Kaufhaus der preußischen Provinz Sachsen entwickeln sollte. Nachfolgende Generationen der Familie Lewin bauen die Seidenwarenhandlung aus und erweitern das Geschäft, das daraufhin bis 1929 in dieser Form existiert. Doch auch das vergrößerte Geschäftsgebäude genügt den Anforderungen moderner Verkaufskultur in den zwanziger Jahren nicht mehr, und so streben die nunmehrigen Inhaber Kurt und Johanna Lewin, wie andere Inhaber der großen Warenhäuser zur städtischen Oberschicht gehörend, einen Neubau an.
Fassade aus graublau gefärbtem fränkischen Muschelkalk
Beauftragt wird der Architekt Bruno Föhre, der mit dem Bau eines neuen Kaufhauses den Komplex Marktplatz 3 und Bechershof 11 zu einem Grundstück vereint. Bei der Gestaltung verpflichtet Oberbürgermeister Rive die Architekten seiner Zeit zum Stil neuer Sachlichkeit. „Sachliche Attraktivität versprach man sich beim Bau des neuen Kaufhauses Lewin von der Fassade aus graublau gefärbtem fränkischen Muschelkalk“, so Cornelia Zimmermann.
Die neue Glasfassade - insgesamt 140 Meter Schaufensterfront - zieht sich nach Fertigstellung bis zum Bechershof, so dass die Hallenser die neue, eindrucksvolle Eisen-Glas-Konstruktion als „Glaspalast“ bezeichnen, so Zimmermann. 300 Angestellte bieten auf den rund 1.170 Quadratmetern Verkaufsfläche Kleidung, Teppiche und Möbel an. In Höhe des dritten Stockwerks sowie am siebenstöckigen Turmgeschoss des Gebäudes bildet ein Bildhauerfries das Gegenstück zum Turm des neuen städtischen Verwaltungsgebäudes.
„Das Warenhaus soll dem halleschen Marktplatz neue großstädtische Züge’ verleihen“
„Das Warenhaus soll dem halleschen Marktplatz neue großstädtische Züge’ verleihen“, schreibt damals die hallesche Presse voller Begeisterung.
Doch lange hält diese nicht: Am 10. Oktober 1930 eröffnet, sollte dem Warenhaus, vor allem aber der Familie Lewin keine Zukunft beschieden sein. Denn ab 1933 werden Juden von den Nazis systematisch aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt, werden jüdische Geschäfte boykottiert.
Insgesamt sieben Kaufhäuser und 23 Textil- und Konfektionsgeschäfte sind in Halle betroffen. Das Lewinsche Unternehmen leidet besonders unter den drastischer werdenden Boykottmaßnahmen und meldet Konkurs an. 1935 fällt die Firma Lewin der sogenannten „freiwilligen Arisierung“ zum Opfer. Das Kaufhaus Lewin führt fortan die Firma „Biermann & Semrau“.