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Fallschirmunglück in Halle Fallschirmunglück am HFC-Stadion 1997 in Halle: "An ein Fußballspiel dachte niemand mehr"

Von Christoph Karpe 12.05.2015, 06:00
Rettungskräfte sind nach dem Unglück am Kurt-Wabbel-Stadion in Halle schnell zu Stelle, doch in vier Fällen können sie nicht mehr helfen.
Rettungskräfte sind nach dem Unglück am Kurt-Wabbel-Stadion in Halle schnell zu Stelle, doch in vier Fällen können sie nicht mehr helfen. Schlüter/Archiv

Halle (Saale) - Es ist 19.18 Uhr. Auf dem Rasen im Kurt-Wabbel-Stadion steht Uli Kliem. Der Stadionsprecher moderiert das Stadtderby an. Der HFC trifft an diesem 26. September 1997 als Außenseiter auf den VfL Halle 96 um Ex-Profi Andreas Wagenhaus.

Es ist ein Oberliga-Punktspiel. Über 10.000 Menschen freuen sich auf das erste Pflichtspiel-Derby seit Jahren. Und als Highlight im Vorfeld haben sich die Organisatoren ausgedacht, dass eine Gruppe Fallschirmspringer mit dem Spielball einschwebt. Die sind im nahen Oppin mit einer AN-2-Maschine gestartet und in 1.100 Metern Höhe abgesprungen. Zwei sind schon gelandet.

Kurt-Wabbel-Stadion: Ausbilder stürzt in ahnungslose Massen an den Kassen

Plötzlich nimmt Kliem sein Mikrofon zu Seite, deutet in den dunklen, nördlichen Himmel und sagt kreidebleich: „Schau’ mal da, da kommt einer ohne Schirm.“ Eine dunkle Gestalt, über sich ein Knäuel aus verheddertem Stoff, rast ungebremst zur Erde. Er schlägt im Kassenbereich an der Badkurve auf. Dort, wo 15 Minuten vor dem geplanten Anpfiff noch Hunderte stehen und in die Arena drängen.

Der Springer Matthias Becker, ein routinierter Ausbilder, stürzt in die ahnungslosen Massen. „Es war nur kurz ein Zischen zu hören“, erinnern sich Augenzeugen. Zu denen gehört der spätere Schwimm-Weltmeister Paul Biedermann. Er ist damals elf - und meidet fortan das Stadion.

Berichterstatter eilen aus dem Innenraum an den Unglücksort. Weiß vor Entsetzen kommt MZ-Fotograf Andreas Löffler den umgekehrten Weg. Instinktiv hat er Fotos geschossen, dann musste er vor dem Grauen flüchten. Er rutscht an einer Wand in die Knie.

Schock nach Katastrophe in Halle: Vier Verletzte werden abtransportiert

Draußen wird die Reaktion nachvollziehbar. Wie in Trance, stumm bewegen sich die Menschen an der Absturzstelle. Jemand hat einen leblosen Körper am Boden mit einer Jeansjacke bedeckt. Aus der Ferne heulen Sirenen von Krankenwagen. Vier Verletzte werden später abtransportiert. Ein 21-Jähriger stirbt auf der Fahrt in die Klinik an inneren Verletzungen. Becker, der mit etwa 150 Stundenkilometern aufgeprallt war, hatte seine Schulter gestreift. Becker, 37-jähriger Vater von drei Kindern, dazu ein 28-Jähriger und ein 18-jähriger A-Jugend-Torwart sind sofort tot.

Erst langsam, dann wie ein Lauffeuer spricht sich die Tragödie im Stadion-Inneren herum. Schnell fällt die Entscheidung: Heute wird nicht gekickt. „An ein Fußballspiel dachte niemand mehr“, so die damalige Beigeordnete und spätere Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados. Die meisten Fans begleiten die Absage, die Kliem mit bedrückter Stimme weitergibt, mit Beifall.

Tragischer Fallschirmabsturz war größte Tragödie des Sports in Halle

Später trifft man an vielen Orten Menschen, die nur wenige Meter von der Unglücksstelle entfernt standen - etwa im Sportlerheim der TSG Kröllwitz. Sie sind angetrunken. Sie haben auf ihr Glück angestoßen, noch am Leben zu sein. Wie knapp sie dem Tod entronnen sind, davon zeugen Blutspritzer an den Hosenbeinen.

Die Tragödie von 1997 ist bis heute die größte in Halles Sport. Wenn der HFC und der VfL gegeneinander spielen, kommt die Erinnerung wieder. Erst Recht, wenn sie nun dort antreten, wo einst der Stadtfußball seine schwärzeste Stunde erlebte. (mz)