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Faktencheck "Corona-Lügen" Faktencheck "Corona-Lügen": Was stimmt? Das sagen Experten

Von Tanja Goldbecher 17.05.2020, 22:24
Samstagnachmittags versammeln sich regelmäßig Corona-Gegner auf dem halleschen Marktplatz und protestieren gegen Beschränkungen.
Samstagnachmittags versammeln sich regelmäßig Corona-Gegner auf dem halleschen Marktplatz und protestieren gegen Beschränkungen. Silvio Kison

Halle (Saale) - Seit Wochen demonstrieren Bürger in ganz Deutschland gegen Einschränkungen in der Corona-Pandemie. Auch in Halle. Am Samstag kam es am Rande einer Kundgebung zu einem Zwischenfall.

Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) sagte im Vorfeld, dass die Demokratie solche Versammlungen aushalten müsse, sich jeder jedoch selbst eine Meinung zu den „wirren“ Behauptungen bilden sollte.

Die MZ hat zentrale Aussagen der Protestierenden von Experten überprüfen lassen. Die ersten fünf Thesen nimmt Dr. Stefan Moritz, Leiter des Sachgebietes Infektiologie des Universitätsklinikums Halle, unter die Lupe. Die Punkte sechs bis zehn überprüft Professor Andreas Petrik für Didaktik der Sozialkunde und politischen Bildung der Martin-Luther-Universität.

Mundschutzmasken schützen nicht, sondern gefährden die Menschen. Es kommt zu Atemnot und die Viren gedeihen wegen der Feuchtigkeit unter den Masken. Laut Dr. Moritz reduzieren Masken die Abgabe sowie die Aufnahme von Tröpfchen und damit auch von Viren. Allerdings gibt es unterschiedliche Arten von Masken. Grob gilt: Je besser sie den Träger schützt, desto schwieriger wird das Atmen unter ihr. Normale Mund-Nasen-Schutze aus Stoff oder einfache Operationsmasken behindern die Atmung jedoch kaum. Bei FFP2- oder -3-Masken ist dies hingegen schon deutlich zu merken. „Alle Masken sollten regelmäßig gewechselt und entsorgt werden. Wenn es sich um wiederverwendbare Masken handelt, könnten sie aber auch bei 60 Grad gewaschen oder heiß gebügelt werden“, empfiehlt der Infektiologe.

Corona ist nicht gefährlicher als die Grippe. Es sterben weniger Menschen an der Krankheit. Dieser Aussage widerspricht Dr. Moritz: „Das SARS-CoV-2 ist gefährlicher, da die Sterblichkeit im Vergleich zur Influenza höher ist und auch die Übertragung mehr Tücken hat.“ Patienten seien bereits drei Tage vor Auftreten von Symptomen ansteckend. Viele Infizierte haben zudem keine Symptome, können das Virus aber trotzdem verbreiten. „In diesem Ausmaß kennen wir das von der Influenza nicht“, betont der Experte. Der wichtigste Unterschied sei jedoch, dass es keine Grundimmunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 gibt.

Die Dunkelziffer der Infizierten liegt zehn Mal höher als die offiziellen Angaben. Der Infektiologe bestätigt, dass es eine Dunkelziffer gibt. Meistens seien das Fälle mit leichten oder gar keinen Symptomen. „Wie hoch diese Dunkelziffer ist, lässt sich momentan nicht sagen“, erklärt Dr. Moritz. Eine zehnfach höhere Anzahl sei reine Spekulation.

Wir sind bereits am Ende der Pandemie. 60 bis 70 Prozent der Menschen sind durchseucht. Auch dieser These muss der Mediziner widersprechen: „Nein, wir befinden uns erst am Anfang der Pandemie.“ Dazu eine einfache Rechnung: Selbst wenn die Dunkelziffer zehnmal höher liegt, wären trotzdem erst zwei Prozent der Bevölkerung durchseucht.

Die Bürger werden zwangsgeimpft. Darauf hat der Experte eine einfache Antwort: „Können sie nicht, da es bisher keinen Impfstoff gibt.“ Die Behauptung von angeblichen Zwangsimpfungen kam mit der Debatte zum Immunitätspass auf, den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einführen will. Für Menschen mit durchgemachter Infektion und nachgewiesener Immunität sollten weitere Beschränkungen gelockert werden. Kritiker hatten den Vorstoß des Ministers so interpretiert, dass sich Bürger impfen lassen müssen, um Lockerungen zu bekommen. „Diese Überlegungen wurden aber mittlerweile aufgegeben, weil das Wissen über die Immunität nach COVID-19 noch viel zu gering ist“, erklärt Dr. Moritz. Außerdem würden sich über 70 Prozent der Bevölkerung aus eigenem Interesse impfen lassen. „Damit hätten wir eine Herdenimmunität erreicht.“ Gesundheitsminister Spahn hat den Ethikrat gebeten, dazu eine Stellungnahme zu verfassen.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird von der Regierung ausgehebelt. Die Medien verschweigen die Wahrheit darüber. Solche Behauptungen gab es laut Professor Petrik bereits vor Corona, als die Debatten um den Klimawandel und Flüchtlinge aufkamen. „Diese Kritik ist absolut falsch“, sagt der Politikdidaktiker. In kaum einem anderen Land könne die eigene Meinung so frei geäußert werden wie in Deutschland. Die subjektive Wahrnehmung der Kritiker, ihre Meinung nicht äußern zu dürfen, könne durch das unmittelbare Feedback in sozialen Medien entstehen. „Es gibt zwar eine Meinungs-, aber keine Widerspruchsfreiheit“, sagt Petrik. Andere Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit habe der Staat durchaus in der Pandemie eingeschränkt. Allerdings hätten Gerichte diese Beschränkungen gekippt. Solange sie den Infektionsschutz beachten, können Bürger öffentlich für ihre Anliegen demonstrieren. Auch die Behauptung, Medien würden die Kritik verschweigen, sei haltlos. „Es gibt genug Formate, in denen Virologen auch sehr unterschiedliche Meinungen vertreten“, argumentiert der Wissenschaftler. Erneut sei Deutschland in Sachen Medien ein Vorbild für viele andere Nationen: Es gebe durch die privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Medien ein großes Spektrum an Informationen. „Die Menschen, die die Medien pauschal kritisieren, sind oft nicht jene, die diese wirklich konsumieren“, urteilt Petrik.

Es wird nie wieder ein normales Leben mit Reisen, Theaterbesuchen und Festen geben. In dieser Aussage spiegelt sich eine Angst der Bürger, die der Politikwissenschaftler nachvollziehen kann. Nie sei zwar ein absolutes Wort. „Wenn wir die Situation realistisch betrachten, müssen wir aber wahrscheinlich in den nächsten zwei Jahren weiterhin mit Einschränkungen leben“, sagt Petrik. Das bisher gewohnte Leben berge die Gefahr, dass eine große Anzahl von Menschen an der Lungenkrankheit sterben. „Die Politik hat die schwierige Aufgabe, die Konsequenzen abzuwägen.“ Die Infektionszahlen werden zwangsläufig steigen. Trotzdem geht der Universitätsprofessor davon aus, dass es im Laufe der Zeit weitere Lockerungen geben wird. Eine mögliche Einschränkung könnte sein, dass der Mundschutz im Nahverkehr oder in Geschäften weiterhin getragen werden muss.

Deutschland entwickelt sich zu einer Diktatur, wie sie George Orwell in seinem Werk „1984“ dargestellt. Laut Petrik ist die Gewaltenteilung in der Pandemie teilweise tatsächlich eingeschränkt worden. Es wurden Notstandsverordnungen erlassen und auch der Gesundheitsminister hat weitreichende Befugnisse erhalten. Diese Erlasse seien jedoch auf ein Jahr beschränkt. Deshalb sei Deutschland weit davon entfernt, sich zu einer Diktatur zu entwickeln. Die aktuelle Situation könne weder mit einem fiktiven Roman, noch mit den Anfängen von Diktaturen verglichen werden.

Corona-Verweigerer werden wie Juden zur Nazi-Zeit behandelt. „Mit solchen Behauptungen inszenieren sich die AfD und andere Rechtsextremisten gern als Opfer“, erklärt der Wissenschaftler. Das Ziel sei es, den Holocaust zu verharmlosen. Der Vergleich verdrehe in Wahrheit jedoch die Tatsachen. Im Nationalsozialismus seien Juden, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und politische Gegner gezielt ausgegrenzt und beschränkt worden, um diese Minderheiten zu diskriminieren und letztendlich zu ermorden. In der Corona-Pandemie werden hingegen nicht die Schwachen, also Risikogruppen, ausgegrenzt. Im Gegenteil: Politiker und Mediziner appellieren vielmehr an die starken Mitglieder der Gesellschaft, sich einzuschränken, um die Schwachen zu schützen.

Das Virus wurde mit Absicht verbreitet, um die Bürger kontrollieren zu können. Eine bewusste Verbreitung des Virus ist laut Petrik eine absurde Verschwörungstheorie. Solche Pläne könnten durch die digitale Vernetzung und die Arbeit der Geheimdienste nicht verheimlicht werden. Es sei jedoch richtig, dass Länder wie China, Ungarn, die USA und Russland die Pandemie ausnutzten, um ihre Interessen durchzusetzen. Deutschland sei durch die Gewaltenteilung davor geschützt. (mz)