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Die Macher nach dem Kriege

Von Tobias Schilling 26.04.2005, 16:27

Halle/MZ. - Warum der Rote Turm am 16. April 1945 von einer Granate der amerikanischen Artillerie in Brand geschossen wurde, darüber gibt verschiedene Versionen. "Die Amerikaner wollten die Hallenser warnen, die Zielgenauigkeit der Waffen demonstrieren", behauptet der Historiker Erwin Könnemann. Stadtarchivar Ralf Jacob hingegen hält einen zufälligen Treffer für wahrscheinlich: "Die Artillerie benötigte einen Orientierungspunkt im Stadtzentrum, da bot sich der Turm an." Präzisionswaffen wie heute habe es noch nicht gegeben.

Eines ist jedoch unstrittig: Der beschädigte Rote Turm war das Symbol für Kriegszerstörung in Halle. Die Symbolkraft führte im Dezember 1945 zur Gründung der Bauhütte Roter Turm, deren Leitung Stadtbaurat Adolf Heilmann übernahm. Zu den Initiatoren zählten unter anderem der Architekt Wolfgang Fraustadt, der als letztes Mitglied 2004 verstorben ist, sowie Stadtarchivar Erich Neuss und der Buchhändler Erwin Scholz.

In insgesamt 160 Sitzungen organisierte die zwölf Mann zählende Gruppe bis 1949 nicht nur den provisorischen Wiederaufbau des Roten Turmes. In dem Kreis wurden auch der umstrittene Abriss des zerstören Alten Rathauses oder die Sanierung von Händelhaus, August-Bebel-Haus und anderen halleschen Kulturbauten vorbereitet.

Auf vielfältige Weise versuchte die Bauhütte in der Nachkriegszeit an finanzielle Mittel für den Wiederaufbau zu gelangen. In Zusammenarbeit mit dem Stadttheater wurden regelmäßig kulturelle "Morgenveranstaltungen" mit einem enormen Konzertprogramm und Lesungen organisiert. "Die Bauhütte war einer der wesentlichen Kulturträger in dieser Zeit", so Jacob. Der Grafiker Paul Radojewski, ebenfalls Mitglied der Bauhütte, wurde beauftragt, Spendenmarken mit dem Bild des Roten Turmes zu entwerfen. 200 000 Stück zu 3,50 Reichsmark wurden davon hergestellt. Das Signet zierte auch Briefbeschwerer aus Marmor. Ein Exemplar erinnert heute auf dem Schreibtisch von Stadtarchivar Jacob an jenes Kapitel hallescher Stadtgeschichte.

Ein weiterer Höhepunkt der Aktivitäten war eine Spendenlotterie. Geld wurde auch durch Sponsoren eingenommen, meist Großbetriebe, die den Roten Turm auf ihren Waren führten. "Mit ihrem Ideenreichtum trafen die Mitglieder der Bauhütte den Nerv der Hallenser für den Wiederaufbau", meint Jacob.

Die vielfältigen Aktionen brachten viel Geld in die Kasse der Bauhütte. Im Mai 1946 betrug das Vermögen bereits 100 000 Reichsmark. Zum Vergleich: Eine Schreibkraft verdiente damals 250 Reichsmark pro Monat. Das weckte Begehrlichkeiten der Stadtverwaltung. So sollte das Vermögen der Bauhütte der Stadthauptkasse unterstellt werden, was zu heftigem Protest Heilmanns führte. Jacob: "Die Stadt wollte sich indirekt an dem Erfolg der Bauhütte beteiligen." Überhaupt war das Verhältnis zur Stadtverwaltung gespannt. "Die Bauhütte war ein Zusammenschluss von großbürgerlichem Potential und Wissenschaftlern, die ließen sich politisch nicht vereinnahmen", erklärt Jacob. Das Geld sollte nicht in Parteiprojekte fließen, die dem Spendergedanken entgegenstanden.

Strenge Kriterien legten die Bauhütte auch an der Auswahl der Mitglieder. Die Bewerbung von einigen FDGB-Mitgliedern im Juni 1949 wurde abgelehnt. Jacob: "Der FDGB hätte für Stadtpolitik und Arbeiterideologie gestanden und damit im Gegensatz zu den individualistischen Machern der Bauhütte." Kurz nach Gründung der DDR endet die Geschichte der Bauhütte. Betroffen von der schlechten Wirtschaftslage und von der Stadtpolitik ausgebremst, beschlossen die Mitglieder am 22. Oktober 1949 die Auflösung der Gruppe.