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Die Denkmalstürmer Die Denkmalstürmer: Weltweit einzigartiges Planetarium in Halle vor Abriss

Von Steffen Könau 22.12.2017, 11:00
Noch steht das ehemalige Raumflugplanetarium „Sigmund Jähn“   auf der halleschen Peißnitzinsel. In Kürze aber werden die Bagger anrücken.
Noch steht das ehemalige Raumflugplanetarium „Sigmund Jähn“   auf der halleschen Peißnitzinsel. In Kürze aber werden die Bagger anrücken. Steffen Könau

Halle (Saale) - Als sich im Sommer insgeheim Dutzende Tänzerinnen und Tänzer einschleichen, um eine illegale Abrissparty zu feiern, ist noch einmal volles Haus. Heiße Beats und kühle Getränke im Raumflugplanetarium, das die DDR vor 40 Jahren nach ihrem Kosmoshelden Sigmund Jähn getauft hatte.

Ein Notstromaggregat rattert, Flaschen klimpern und die Toiletten funktionieren schon lange nicht mehr. Seit dem Morgen danach ist wieder Stille. Das Gebäude mit der einprägsamen Silhouette, das über Jahrzehnte Anlaufpunkt für jedes Schulkind aus Halle und Umgebung war, wartet auf den Bagger.

Seit vier Jahren schon. Schuld ist die Flut von 2013, die den Rundbau mit dem weit ausgestreckten Eingangsbereich überspülte wie noch nie zuvor. Technik wurde zerstört, die Inneneinrichtung beschädigt. Kaum wich das Wasser, fiel das Stichwort „Ausweichstandort“. Wenig später war schon vom Abriss des im November 1978 eröffneten Hauses die Rede.

Furcht vor radikaler Lösung

Ulrich Möbius hat damals genau zugehört. Als Chef eines Vereines, der einen Steinwurf entfernt vom Planetarium seit Jahren versucht, das zu DDR-Zeiten als Pionierhaus genutzte Peißnitzhaus zu sanieren, fürchtete er von Anfang an eine radikale Lösung. „Dabei ist das Planetarium architektonisch einmalig, ein unwiederbringliches Beispiel für die Ostmoderne, die gerade mit den HP-Schalen des Architekten Herbert Müller hier in Halle ihre Wurzeln hat.“

Diese sogenannten hyperbolischen Paraboloiden aus Beton prägen das Bild des Gebäudes. Sie bilden einen 28-eckigen Kegelstumpf als Dach, in dem die 16 Meter hohe Projektierungskuppel von 12,5 Meter Durchmesser untergebracht ist. „Selbst die Außenwände bestehen aus HP-Schalen“, sagt der hallesche Fotograf Knut Müller, der sich als Sohn des „Schalen-Müller“ genannten Erfinders Herbert Müller bis heute um die weltweit nach den Ideen seines Vaters errichteten Gebäude kümmert.

Planetarium ist unwiederbringliches Beispiel für Ostmoderne

Das Panoramamuseum in Bad Frankenhausen, Sport- und Schwimmhallen auf dem Gebiet der damaligen DDR, aber auch Gebäude in Sydney, Brasilia und Malmö zeigen heute noch, was die Betonschalen vermögen. Sie sind leicht und stabil.

„Das Planetarium“, sagt Knut Müller, „ist dabei keins der Gebäude von der Stange, sondern einzigartig.“ Wie Ulrich Möbius hat auch Müller anfangs eher ungläubig zugehört, als über einen Abriss des Hauses gesprochen wurde. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Stadt ihre eigenen kulturellen Wurzeln mutwillig kappt.“

Doch, tut sie. Zwar gelang es der von Möbius und Müller zusammen mit weiteren Vereinen und Einzelpersonen gegründeten „Initiative Schalendom“, mit einem Antrag auf Denkmalschutz für das Musterbeispiel der Ostmoderne Gehör zu finden. Zwei Jahre nach der Flut erhielt das geräumte und verrammelte Planetarium vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie offiziell den Status eines geschützten Kulturdenkmals.

Stadt Halle träumt von neuem Planetarium im Gasometer

Am Fortgang der Abrissplanung aber änderte das nichts. Halle träumte längst von einem neuen, größeren und schöneren Planetarium, zwei Kilometer Luftlinie entfernt zu errichten in einem alten Gasometer. Im Rathaus ist zu diesem Zeitpunkt allen klar: Die Gelegenheit, das alte Planetarium mit Mitteln aus der Fluthilfekasse abreißen und ein neues mit Mitteln aus der Fluthilfekasse bauen zu können, kommt nie wieder. Was es jetzt braucht, ist ein Gutachten, das den Schalendom zum wirtschaftlichen Totalschaden erklärt. Sanierung ausgeschlossen. Unmöglich. Unzumutbar.

Im Oktober 2014 ist es fertig. Auf 54 Seiten attestiert ein Sachverständiger „erhebliche Schäden“ im Gebäude, das zum Zeitpunkt der Untersuchung Anfang 2014 immer noch eine „extrem hohe Luftfeuchtigkeit“ aufgewiesen habe. Es gebe Ausblühungen an Fliesen, hohle Stellen und Risse im Fußboden und zerstörte Einbauten.

Allerdings, so der Gutachter unzweideutig: „Das Gebäude ist weder statisch noch baulich gefährdet“, denn „die verwendeten Baustoffe können mit kurzzeitigem Wasser gut umgehen.“ Auch bei der Flut 2011 sei schon Wasser eingedrungen, beschädigt worden seien aber diesmal wie damals nur Einbauten: „Es zeigten sich keine Schäden am Bauwerk.“

War Schimmelbefall in Wirklichkeit nur Löschschaum?

Nach Totalschaden klingt das nicht. Ebensowenig sieht der Schalendom drei Jahre später nach einem aus. Inzwischen ist das Haus komplett durchgetrocknet. Wandverkleidungen fehlen, ebenso der Putz. An den nackten Wänden haben Sprayer ihre Spuren hinterlassen, auf dem Boden liegen Flaschen der Abschiedsparty. Aber es riecht nicht mehr nach dem Schimmel, den der Gutachter gerochen haben will, sondern eher wie Rohbau. Ulrich Möbius verwundert das wenig. „Ein Foto, auf dem man angeblich besonders ausgedehnt blühenden Schimmel sieht“, sagt er, „zeigt in Wirklichkeit nur Löschschaum, den irgendwer im Haus versprüht hatte.“

Möbius hat das Haus damals in Augenschein genommen, „weil ich der Meinung war, dass es jenseits einer Weiternutzung als Planetarium eine Möglichkeit geben muss, dieses einmalige Stück Stadtgeschichte zu erhalten.“ Eine Verwendung als Schulungsgebäude für den Peißnitzhausverein schien denkbar. Oder die Nutzung als Stall für die Weidetiere, die der Verein anschaffen will, um Naturbildung für Kinder anbieten zu können.

Unterschriften für Rettung des Schalendoms gesammelt

Möbius, Knut Müller, die Leute vom Arbeitskreis Innenstadt und von der Kunstplattform Halle haben alle Räder in Bewegung gesetzt, um den Schalendom zu retten. Stadträte angesprochen, die Parteien kontaktiert, Briefe an die Landesregierung geschrieben, Ministerien besucht, Unterschriftenlisten ausgelegt. „Wir haben gesagt, wir übernehmen das Haus, das kostet die Stadt gar nichts.“ Durchgerechnet war schon eine Finanzierung durch die Errichtung einer Solaranlage auf dem Hausdach.

Doch die Stadtverwaltung hatte sich festgelegt. Ein 283.000 Euro teurer Abriss, der vollständig aus dem Fluthilfefonds finanziert wird, ist auf Dauer günstiger als die Erhaltung eines Denkmals mit ungewisser Perspektive. „Die Stadt hatte Angst, dass ihr das Haus doch irgendwann wieder zufällt“, sagt Knut Müller.

Weil der Gutachter die Kosten für eine Sanierung des Hauses - inklusive Inneneinrichtung - mit 4,8 Millionen veranschlagt hatte, liege, so argumentiert Judith Marquardt, die Beigeordnete für Kultur und Sport, ein „technischer Totalschaden“ vor. Eine Sanierung sei ausgeschlossen, denn „eine weitere Nutzung des Gebäudes führt, unabhängig von deren Art, zu einem Verlust der Fördermittel für den Neubau.“

Halle hat ehrgeizige Pläne mit Neubau 

Die liegen mit etwa 14 Millionen fast beim Dreifachen der prognostizierten Sanierungssumme für das alte Planetarium. Dafür aber sind die künftigen Planzahlen des Neubaus ambitioniert: Die Besucherzahlen sollen um 800 Prozent steigen und die Einnahmen auf das Zweitausendfache, damit der zum Unterhalt nötige Zuschuss der Stadt von zuletzt 185.000 Euro nur auf 340.000 Euro steigen muss.

Zahlen, die nicht zählten, wäre das Argument, die Stadt Halle müsse das alte Planetarium abreißen, um ein neues bauen zu dürfen, zutreffend. Doch ausgerechnet das Landesverwaltungsamt, das die Fluthilfeanträge genehmigt, widerspricht der Darstellung der Kulturbeigeordneten. „Ein Abriss ist nicht Voraussetzung für die Förderung des Neubaus“, stellt das Amt klar. Ausgeschlossen sei durch die Richtlinien nur eine Weiternutzung als Planetarium.

Im Rathaus ist das bereits seit mindestens drei Jahren bekannt. Damals hatte die Stadtratsfraktion der Grünen im Landesbauministerium die Auskunft bekommen, dass der Abriss nicht Voraussetzung für eine Förderung des geplanten Neubaus sei. Dennoch blieb die Stadtverwaltung dabei: Nach außen wurde der Abriss des Baudenkmals der Ostmoderne stets als Bedingung für der Erhalt der Fördermittel für einen Neubau dargestellt.

Möbius: „Ohne Not verschwindet ein Stück Stadtgeschichte“

Eine Strategie, die der Öffentlichkeit ein Entweder - Oder suggerierte: Abriss eines Denkmals, das nach Angaben von Alfred Reichenberger vom Landesamt für Denkmalpflege noch immer eines ist. Oder kein neues Planetarium. Dass eine solche Wahl nie nötig war, weil eine Weiternutzung des Schalendoms zu anderen Zwecken ohne Probleme möglich gewesen wäre, blieb offenbar sogar der Oberen Denkmalschutzbehörde verborgen. Sie erteilte eine Abrissgenehmigung.

Ulrich Möbius schüttelt den Kopf. „Ohne Not verschwindet ein Stück Stadtgeschichte“, sagt er. An dessen Stelle entsteht nun ein Stück Rasenfläche, vom Steuerzahler mit knapp 300.000 Euro finanziert. Vor wenigen Tagen hat die Entkernung des Gebäudes begonnen, um Baufreiheit für die Bagger zu schaffen.   (mz)

Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, 1988 bei einem Besuch im Planetarium.
Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, 1988 bei einem Besuch im Planetarium.
Klaus Plewa