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"Der Stasi-Mann in Schweden" "Der Stasi-Mann in Schweden": Verraten und inhaftiert: Hass auf "IM Thomas"

Von Anja Falgowski 24.04.2018, 08:15
Zerrissene Passfotos von Aleksander Radler aus seiner rekonstruierten Stasi-Akte.
Zerrissene Passfotos von Aleksander Radler aus seiner rekonstruierten Stasi-Akte. BStU

Halle (Saale) - Die Vorführung des Films „Der Stasi-Mann in Schweden“ nebst anschließender Gesprächsrunde lockte im November vergangenen Jahres so viele Menschen ins Puschkino, dass nicht alle in den Saal passten und wieder gehen mussten. Nicht ohne die Zusicherung freilich, dass die Veranstaltung wiederholt würde.

Die BstU-Außenstelle Halle hat Wort gehalten und führt den Film nun erneut vor, im Anschluss daran wird es eine Gesprächsrunde geben mit Rüdiger Sielaff, dem Leiter der BstU-Außenstelle Frankfurt (Oder), und mit Gesine Overkamp. Sie ist eine derjenigen, die dem Spitzel Aleksander Radler, „IM Thomas“, einst vertraute, von ihm verraten und anschließend inhaftiert wurde.

Staatssicherheit warb den Mann, damals Theologiestudent, 1965 an

Die Staatssicherheit warb den Mann, damals Theologiestudent, 1965 an. Große Achtung erwarb er sich dort 1968 mit dem Verrat von sechs Studenten, die die aus der DDR fliehen wollten. Sie hatten ihm, der dank seines österreichischen Passes reisen durfte, Briefe an die westdeutsche Verwandtschaft mitgegeben, in denen sie diese um Hilfe baten. „Aleksander ist ein guter Freund“, man vertraue ihm, hieß es in einem. Der gute Freund aber lieferte die Briefe bei der Stasi ab, die Studenten wurden festgenommen und später verurteilt.

Gesine Overkampf verbrachte wegen der „Vorbereitung zum illegalen Verlassen der DDR“ zunächst fünf Monate im Stasigefängnis Gera und anschließend weitere 14 Monate im Frauengefängnis Hoheneck. Schon kurz nach ihrer Inhaftierung, sagt sie, sei ihr der Verdacht an Verrat gekommen. Wenn sie daran denkt, wenn sie an Aleksander Radler denkt, was empfindet sie? „Hass. Besonders wegen seiner heuchlerischen Haltung als Theologe.“

Für den Prozess gegen die Studenten wurde Radler als Mitangeklagter aufgebaut

Als solcher nämlich agierte Radler weiter. Für den Prozess gegen die Studenten wurde Radler als Mitangeklagter aufgebaut, weil die Stasi ihn nicht „verbrennen“ wollte. Eine gute Legende für seine Flucht, die offiziell verkündet wurde - dabei schickte ihn die Behörde nach Schweden, ausgestattet mit einem Kurzwellenradio, Codierungsunterlagen, Geheimschreibmitteln. Denn „Thomas“ spionierte weiter, während er in Lund sein Theologiestudium abschloss und promovierte. Er berichtete aus Kirchenkreisen - immerhin gab es enge Kontakte zur DDR-Opposition.

Radler kehrte in den 1970er Jahren zurück in die DDR. Er pendelte fortan zwischen Schweden, West- und Ostdeutschland hin und her. In Westberlin reichten seine Kontakte bis ins Umfeld des Regierenden Bürgermeisters, im Osten besuchte er kirchliche Ausbildungsstätten in Wernigerode, Naumburg, Neuzelle. Aus Halle berichtete er über den Brand in der Laurentiuskirche und eine Diskussion mit Künstlern und Theologen. Ab Ende der 70er Jahre dann drängte der Mann auf eine Professur in der DDR - so stark, dass selbst die Staatssicherheit genervt war. 1988 gelang es ihr aber, ihn an der Universität Jena unterzubringen.

Seine erste Professur ohne Unterstützung der Stasi erhielt Radler 1992

Seine erste Professur ohne Unterstützung der Stasi erhielt Radler 1992 an der Theologischen Fakultät der MLU in Halle. Drei Jahre lang blieb er dort, bis der Pfarrer Dietmar Linke für ein Buch über Theologiestudenten in Berlin in den Akten recherchierte und am Rande eines Verhörprotokolls eine Notiz mit dem Inhalt fand, dass Radler an der Verhaftung der Jenaer Studenten beteiligt und als „IM Thomas“ für die Staatssicherheit tätig gewesen sei. Nachdem das öffentlich wurde, verschwand der Professor aus Halle.

Er ging zurück nach Schweden, war dort als Priester tätig und lebte unbehelligt, bis schwedische Medien den Fall vor fünf Jahren aufgriffen. In dem Film „Der Stasi-Mann in Schweden“ versucht ein alter Freund von ihm, Kontakt aufzunehmen, Antworten zu finden. Von ihm verratene Freunde erzählen ihre Geschichten. Sie reden, Radler nicht, soviel sei verraten. Und so bleibt am Ende eine große Sprachlosigkeit, immer noch. „Ich empfinde auch Unzufriedenheit hinsichtlich der Behandlung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Tätern und Opfern“, sagt Gesine Overkamp.

Aleksander Radler hat 24 Jahre lang für die Staatssicherheit gespitzelt

Aleksander Radler hat 24 Jahre lang für die Staatssicherheit gespitzelt. Die Behörde hatte sich bemüht, alle seine Spuren zu vernichten, aber 2012 fand sich in der BstU-Außenstelle Frankfurt (Oder) ein Sack mit zerrissenen Aktenseiten. Dank der Rekonstruktion der 2400 Seiten kann heute die Geschichte des „IM Thomas“ so genau erzählt werden. (mz)

Der Film „Der Stasi-Mann in Schweden“ wird am Dienstag, 24. April, um 18 Uhr im Puschkino gezeigt. Im anschließenden Gespräch kommen die Zeitzeugin Gesinde Overkamp und der Leiter der BstU-Außenstelle Frankfurt (Oder) zu Wort.