Burgdrogerie am Reileck Burgdrogerie am Reileck: Abschied nach 118 Jahren

Halle (Saale) - „Sonderverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ steht seit Tagen in großen Buchstaben an den Schaufensterscheiben der Burg-Drogerie am Reileck. In den Regalen gähnende Leere, nur hier und da finden sich noch vereinzelt Farbdosen, Sonnencreme und Waschpulver - allesamt mit einem roten „Reduziert“-Aufkleber versehen.
Kein Zweifel: Nach über 118 Jahren schließt Halles wohl berühmteste Drogerie ihre Tür. Inhaber Detlef Rasch, von vielen seiner Kunden mit Abschiedsworten bedacht, geht in Rente.
Burgdrogerie am Reileck: Kräuter und Tinkturen
Seinen Anfang nahm das traditionsreiche und bei den Hallensern bis zum letzten Tag beliebte Geschäft im Jahre 1900. Kurz zuvor kam Urgroßvater Arno Rasch, geboren 1870, aus Oberweißbach nach Halle. „In Thüringen ging es den Leuten um die Jahrhundertwende schlecht, da war Halle als eine durch das Salz reich gewordene Stadt ein lohnendes Ziel“, sagt Detlef Rasch über die Beweggründe seiner Vorfahren. Die waren sehr kundig im Umgang mit Kräutern und daraus hergestellten Tinkturen.
Das Wissen um Drogen, ihre Zusammensetzung und Wirkung (im pharmazeutischen Sinne als natürliche Rohstoffe für die Arzneimittelherstellung) sollte sich damals als gute Voraussetzung für ein eigenes Geschäft erweisen: In der Richard-Wagner-Straße, wenige Meter entfernt vom heutigen Standort am Reileck, eröffnete Arno Rasch im April 1900 seine Burg-Drogerie: Farben, Lacke und Pinsel, Kerzen, Bohnermasse und Firnisse, „Desinfections-Mittel“ und das unverwüstliche „Odol“ samt selbstgerührter Zahnpaste gehörten zum breitgefächerten Angebot des Firmengründers, dazu Parfümerien, Toilettenseifen, Kämme und Schwämme.
Zu haben waren bei Rasch aber auch Kindernährmittel, Gewürze, Speise-Öle und Essige, Mineralwässer, Pfefferminzbonbons und sogar „Biscuits, Weine, Liköre“ - mit großformatiger Firmenwerbung an der Fassade angepriesen. 22,50 Mark- soviel stand schon kurz nach der Eröffnung als allererste Buchung im „Kassa-Buch“, das Detlef Rasch gemeinsam mit weiteren gut erhaltenen Firmenfotos im Familienarchiv des Vaters gefunden hat.
„Mein Urgroßvater hatte in der Anfangszeit jeden Tag im Jahr geöffnet - außer am ersten Weihnachtsfeiertag“, so Rasch.
29 Jahre nach Geschäftseröffnung starb Arno Rasch, und dessen Sohn Fritz, 1903 geboren, übernahm die Drogerie. Aus der Konkursmasse der Bayerischen Hypothekenbank hatte Fritz Rasch Ende der 1920er Jahre das Grundstück an der Ecke zur Reilstraße kaufen können - fortan hatte die Burg-Drogerie ihren Sitz in dem prunkvollen Eckgebäude.
Bis 1942 war der Nachfolger des Firmengründers im Geschäft, der Krieg zwang ihn an die Front, und 1944 musste die Drogerie schließen. Aus dem Krieg zurückgekehrt, durfte Fritz Rasch dann in der sowjetischen Besatzungszone zunächst nur verwalterische Tätigkeiten im Geschäft ausführen.
Betreiber der Burgdrogerie am Reileck: Zwölf Jahre keinen Urlaub
1956, nach dem Tod des Großvaters Fritz, übernahm Gerhard Rasch - Vater des heutigen Inhabers - die Drogerie, der sie bis 1961 trotz zunehmender Enteignungsbestrebungen selbstständig führen konnte. „Ab 1961 war er nur noch Komissionär, ab ’64 wurde die Zulieferung abgedreht - die HO übernahm das Geschäft und etablierte dort eine Selbstbedienungsdrogerie, übrigens die zweite in der DDR“, erzählt Rasch.
Vater Gerhard indes übernahm, seines Geschäftes beraubt, 1984 vorübergehend die Tiergarten-Drogerie am Zoo. 1990, nach Wende und Pleite der HO, bewarb sich Gerhard Rasch als einer von sage und schreibe 2 500 Interessenten um die begehrte, eigentlich ihm gehörende Ladenfläche - erfolgreich. 1999 übernahm Detlef Rasch in vierter Generation die Burg-Drogerie, die nun nach 118 Jahren Geschichte ist. Rasch, sieht es mit einem weinenden und einem lächelnden Auge: „Ich habe zwölf Jahre keinen Urlaub gehabt. Jetzt habe ich Zeit - auch zum Reisen“. (mz)
