Box-Comeback Box-Comeback: Steffen Kretschmann zurück aus der Versenkung

Halle (Saale)/MZ - Das Morgentraining ist vorbei. Frisch geduscht kommt Steffen Kretschmann aus der Umkleide und hängt seine durchgeschwitzten T-Shirts in einem Nebenraum der Sporthalle am Kreuzvorwerk auf. Die roten Leinen sind proppevoll mit ähnlich durchtränkter Wäsche. So riecht es auch. Muffig und nach jeder Menge in Baumwolle gefangener Transpiration. „Gutes Aroma“, sagt Kretschmann und grinst. Bei Boxern gehört halt Schweiß zum Raumklima. Niemand stört sich daran, wer doch, ist fehl am Platz.
Endlich wieder boxen
Kretschmann wirkt aufgeräumt und tiefenentspannt, als er dann am Tisch sitzt, die muskulösen Arme mit den großen Händen liegen völlig unverkrampft auf der Platte. Sein Blick ist offen. Nein, von Beklemmung oder Aufregung keine Spur. Der Mann ist einfach nur froh, denn „ich kann endlich wieder boxen“. Am Freitag steigt der Schwergewichtler in Potsdam in den Ring. Erstmals für den Boxstall von Ulf Steinforth in Magdeburg, bei dem auch Ex-Weltmeister Robert Stieglitz unter Vertrag ist. Kretschmanns Gegner heißt Samir Kurtagic, kommt aus Serbien, lebt in Wien und ist bei fünf Niederlagen in 17 Kämpfen schlagbar.
Und genau das muss Kretschmann bestätigen, will er nicht gleich wieder aus dem Blickfeld geraten. Am Donnerstag ist es genau vier Jahre her, dass der Hallenser vor einem Millionen-Publikum ausstieg. Im von einem TV-Sender hochgepuschten Revanche-Duell gegen den Russen Dennis Bakhtov gab er in Runde neun auf. Nicht aus Feigheit, nicht weil er chancenlos war. Kretschmann führte nach Punkten. Der ruhige, sensible Boxer war mental K.o., nervlich am Ende.
Und dann auch seine Karriere. Sein damaliges Management feuerte ihn - ohne ihn auszuzahlen. Es folgte ein Rechtsstreit um Gehalt. Weil die juristischen Scharmützel seinen Vertrag in einen Schwebezustand versetzten, kam Steffen Kretschmann nirgendwo anders unter. Diese Art Berufsverbot machte ihn zeitweilig sogar zum Hartz-IV-Empfänger.
Er fand jedoch in einem Bürsten-Hersteller aus Lüneburg einen Sponsor, bestritt dann Kämpfe in Kleinveranstaltungen, duellierte sich 2012 im regnerischen Halle bis zum Abbruch mit dem alten Haudegen Timo Hoffmann. Steffen Kretschmann wurde als Sparringspartner bei WM-Vorbereitungen von Wladimir Klitschko engagiert und schlug sich im April 2013 bei einem „Big ist better“-Spektakel von Schwergewichtlern in Lissabon bis ins Finale, wo ihn eine Verletzung stoppte. Das alles zählte nicht für Ranglisten. Dort wird Steffen Kretschmann, der sein schon für Oktober geplantes Comeback verletzt verschieben musste, jenseits der besten 300 geführt.
Endlich in die Spitze
Das Drama des langsamen Versinkens in der Bedeutungslosigkeit soll jetzt „nach vier verlorenen Jahren“, wie Kretschmann sagt, noch eine gute Wendung bekommen.
33 Jahre ist Kretschmann inzwischen alt. „Jetzt geht es zum Endspurt meiner Karriere“, nennt er die neue Phase, bei der ihn natürlich sein langjähriger Trainer Hans-Jürgen Witte begleitet. Noch sieben Jahre etwa möchte Steffen Kretschmann im Ring stehen. Kein Ding der Unmöglichkeit. Nur Erfolge müssen her. Schnell. Schon Freitag. Auf eine traurige Karriere als Journeyman, jene als Prügelknaben für ein Gnadenbrot engagierten abgehalfterten Boxer, hat er keine Lust. „Kommt nicht in Frage“, sagt Steffen Kretschmann entschlossen. Sein Plan heißt: Endlich in die Spitze. „Anfang 2015 möchte ich um die Europameisterschaft boxen“, sagt er und schaut so entschlossen, dass sich zweifelnde Gedanken verbieten.