Rechtsextremistisches Attentat Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle: Warum jetzt Streit wegen des Gedenktages droht
Wie soll die Stadt Halle langfristig mit der Erinnerung an den Terroranschlag vom 9. Oktober 2019 umgehen? Wieso sich im Rat eine emotionale Diskussion anbahnt.

Halle (Saale)/MZ - Die großen Plakate mit Botschaften wie „Deutschland hat ein Antisemitismusproblem“ oder „Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu Halle“, die Anfang Oktober im ganzen Stadtgebiet aufgestellt waren, sind wieder abgebaut. Weder auf dem Marktplatz, noch vor den Tatorten Synagoge oder ehemaliger Kiez-Döner sind noch niedergelegte Blumen zu sehen.
Das offizielle Gedenken an den Terroranschlag vom 9. Oktober 2019, an dem die Jüdische Gemeinde angegriffen und zwei Menschen ermordet wurden, ist vorbei. Doch der Tag wirkt noch nach. Einige Kommunalpolitiker fordern eine kritische Auswertung und weitreichende Änderungen für künftige Erinnerungsveranstaltungen.
Die Linke will, dass die Stadtverwaltung jedes Jahr dem Gedenken „oberste Priorität“ einräumt
Die Stadtratsfraktion Die Linke will, dass die Stadtverwaltung jedes Jahr dem Gedenken „oberste Priorität“ einräumt und dabei dem Marktplatz besondere Bedeutung beimisst. Ein entsprechender Antrag soll am Mittwoch in den Rat eingebracht werden. Es müsse im Interesse der Stadt liegen, das Gedenken und die Erinnerung an den Anschlag aufrecht zu erhalten, heißt es. „Im Sinne des würdigen Gedenkens höchst problematische Konstellationen wie in diesem Jahr müssen künftig vermieden werden“, sagt Katja Müller (Die Linke).
Sie hatte in den vergangenen Wochen vor allem die Veranstaltung des Mitteldeutschen Marathons kritisiert, der am 9. Oktober unter anderem auf dem Marktplatz stattfand. Die Linken wollen nun per Ratsbeschluss durchsetzen, dass künftig Veranstaltungen verschoben werden, „die einem würdigen Gedenken nicht gerecht werden können“.
Einen offiziellen städtischen Gedenktag gibt es in Halle bislang noch nicht
Noch einen Schritt weiter geht der Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen-Anhalt (BdA), der den 9. Oktober in Halle offiziell zum städtischen Gedenktag erklären lassen will. Das schlägt der BdA in einem Brief an den Stadtrat und das Büro des Oberbürgermeisters vor, der auch der MZ vorliegt. Der Marathon habe das Gedenken an den Terroranschlag „in die zweite Reihe“ geschoben, sagt BdA-Vorsitzende Gisela Döring. „Das ist unserer nicht würdig.“
Einen offiziellen städtischen Gedenktag gibt es in Halle bislang noch nicht. Die Stadt beteiligte sich zwar in der Vergangenheit immer unter anderem am Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) und am Gedenken an die Reichspogromnacht (9. November), aber in beiden Fällen handelt es sich um bundesweite Gedenktage. Unklar ist, wie genau ein städtischer Gedenktag definiert ist. Eine MZ-Anfrage, wer über die Einrichtung eines solchen Tages zuständig ist, ließ das Rathaus bislang noch unbeantwortet.
Das Rathaus verweist auf den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Halle
In einer Stellungnahme zum Linken-Antrag verteidigt sich die Stadtverwaltung jedoch vehement. Das Gedenken am 9. Oktober 2022 sei würdig und vielfältig gewesen. Jeder Hallenser habe die Möglichkeit gehabt, ungestört den Opfern zu gedenken, auch auf dem Marktplatz. Der 9. Oktober sei ein zentraler Tag städtischer Erinnerungskultur und man habe sich schon lange im Voraus mit verschiedenen Akteuren dazu verständigt, auch unabhängig vom Marathon.
Das Rathaus verweist auch auf Max Privorozki, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Halle, der es in der MZ als „absolut falsch“ bezeichnet hatte, andere Veranstaltungen neben dem Gedenken am 9. Oktober abzusagen, weil der Attentäter dann „etwas erreicht“ hätte. „Diese Haltung teilt die Stadtverwaltung“, heißt es aus dem OB-Büro.
So stehen Stadträte zum 9. Oktober als städtischem Gedenktag
Andreas Scholtyssek, CDU-Fraktionsvorsitzender: „Der Meinungsbildungsprozess ist bei uns noch nicht abgeschlossen. Allerdings ist der Linken-Antrag sehr weitgehend und schießt womöglich etwas übers Ziel hinaus.“
Melanie Ranft, Grünen-Fraktionsvorsitzende: „Wir sind für die Einbeziehung aller in die Vorbereitung von Veranstaltungen am 9. Oktober und auch für Berichterstattung im Rat, sodass wir Anregungen geben können.“
Alexander Raue, AfD-Fraktionsvorsitzender: „Unsere Freiheit wegen der Tat eines irren Einzeltäters zu beschränken ist falsch. Gedenken und Erinnern belasten unser Bewusstsein so, dass wir kaum Freude finden.“
Andreas Wels, Fraktionsvorsitzender Hauptsache Halle & Freie Wähler: „Der Anschlag hat Halle verändert. Wir sollten das gesellschaftliche Leben am 9. Oktober aber nicht zum Stillstand bringen. Das wäre ein später Sieg des Attentäters.“