Anna Kuschnarowa Anna Kuschnarowa: Weltensammlerin wird Halles neue Stadtschreiberin
Halle (Saale) - Anna Kuschnarowa zündet ein weiteres Teelicht an. Während die Abendsonne noch hinter den Fenstern versinkt, leuchten in der Arbeitsecke schon die bunten Laternen auf. An der Wand treffen sich gemusterte Schatten. Seitdem Anna Kuschnarowa vor 16 Jahren in eine Dachgeschoss-Wohnung im Leipziger Osten gezogen ist, hat sie ihr Zuhause über die Jahre in ein kleines Schatzkästchen verwandelt.
Keine Stelle an der es nicht ein kleines Juwel zu entdecken gibt, oder eine Ecke mit aneinandergereihten Büchern. Ab April wird die Schriftstellerin als neue Stadtschreiberin für ein halbes Jahr in Halle leben und arbeiten. „Am Tag der Bekanntgabe war ich nicht gut drauf. Als dann die Nachricht kam, war ich überglücklich,“ sagt die gebürtige Würzburgerin.
Stadtschreiberin in Halle: Neben 7.500 Euro für sechs Monate wird ihr unter anderem auch eine Wohnung zur Verfügung gestellt
Im Rahmen des Stipendiums wird ihr neben 7.500 Euro für sechs Monate unter anderem auch eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Einen „asketischen Befreiungsprozess“, nennt die Autorin das. Wenn die 41-Jährige den langen Rechercheprozess für ein neues Projekt abgeschlossen hat und zu schreiben beginnt, sucht sie so wenig Ablenkung wie möglich: „Meine Wohnung frisst schon einiges an Kapazität.“
In Halle möchte die Autorin vor allem an ihrem historischen Roman arbeiten. Die ersten 300 Seiten sind fertiggestellt - auf etwa 800 soll nach der Vollendung eine Geschichte erzählt werden, die auch von den abenteuerlichen Wendungen im Leben von Anna Kuschnarowas Urgroßmutter inspiriert wurde: Sie gehörte dem russischen Adel an, verliebte sich in einen Kuban-Kosaken und wurde auf der Flucht von ihrem eigenen Vater angeschossen.
Stadtschreiberin von Halle: Zur Recherche ging Anna Kuschnarowa unter anderem auch nach Russland
Ihr dicker Filzmantel konnte die Kugel jedoch abhalten. Zur Recherche ging Anna Kuschnarowa unter anderem auch nach Russland: „Das ist der größte Teil meiner Arbeit an einem Buch. Etwa 70 Prozent sind Recherche und 30 Prozent das Schreiben.“ Wenn die Autorin die umgebende Welt und die Charaktere für ein neues Werk einmal verinnerlicht hat, nimmt sie sie überall hin, auch in die Träume.
„Als ich ’Djihad Paradise’ geschrieben habe, bin ich morgens aufgewacht und habe mich gefragt: Bin ich Julian oder bin ich Anna?“ Dann war sie schnell froh Anna zu sein. In „Djihad Paradise“ ist Julian Engelmann ein Jugendlicher, der zum Islam konvertiert, sich radikalisiert und später mit Sprengstoffgürtel in einem Berliner Einkaufszentrum steht. Der Jugendroman wurde später vom Thalia Theater in Halle auf die Bühne gebracht und ist aktuell im „neuen theater“ zu sehen.
Anna Kuschnarowa: Ich kann wie in Trance auch 16 Stunden am Stück schreiben
Die Nähe zu den Charakteren, gerade wenn sie zu Anna Kuschnarowa komplett entgegengesetzt denken, fühlen und handeln, kann besonders kurz vor Abgabe zur emotionalen Kraftprobe werden: „Ich kann wie in Trance auch 16 Stunden am Stück schreiben“. Dann ist es befreiend, anschließend auch beruhigt, loslassen zu können. In ihren Jugendbüchern greift sie eine breite Vielfalt an Themen auf, ohne die Angst vorm Unbequemen.
Das Leben in der Vielfalt zu begreifen, ist der Autorin auch privat wichtig: Sie hat früh begonnen Lyrik zu schreiben, hat an der Universität gelehrt, war Integrationshelferin und arbeitete im Nachtdienst in einem Wohnheim für suchtkranke Männer. Einen Teil dieser Erfahrungen hat Anna Kuschnarowa in ihrem Roman “Junkgirl“ aufgegriffen.
Anna Kuschnarowa: Auf Halle freut sich die Autorin besonders aus einem Grund
Auf Halle freut sich die Autorin besonders aus einem Grund: Neben Ägyptologie und Germanistik hat sie in ihrem Nebenfach Prähistorische Archäologie zwar auch in Halle studiert, als Pendlerin konnte sie allerdings nur wenig kennenlernen: „Ich bin froh, jetzt nachzuholen zu können. Und ich denke in einem halben Jahr gibt es hier eine Menge zu entdecken“.
Weitere Informationen unter anna-kuschnarowa.de