Altersheim? Nein Boxcamp! Altersheim? Nein Boxcamp!: "Commander" Uwe Schuster bittet wieder an den Ring

Halle (Saale) - Das obligatorische Spektakel gleich zu Beginn fällt diesmal aus. Kein animierender Anranzer. Kein: „Wir sind doch hier nicht beim Gesellschaftstanz!“ Statt seine Boxer wie gewohnt auf Kurs zu brüllen, schaut Uwe Schuster an sich herunter. Knurrt: „Man, ich sehe ja aus wie ein Verkäufer.“ Und sucht mit den Augen Hantelbank, Ringseile und den zur Ablage umfunktionierten alten Bollerofen nach seinen Sportsachen ab. Fürs Foto sollte es schon stilecht sein. Dieser Uwe Schuster ist immer für eine Überraschung gut.
Seine Boxer wissen ohnehin, was zu tun ist. Im Proficamp in dem Hinterhof-Abrisshaus ohne all den Wohlfühl-Schnickschnack wie Heizung oder Dusche sind sie ein eingespieltes Team. Die Sportler flitzen die Treppe runter, um sich hinter dem alten Gemäuer schon mal auf Betriebstemperatur zu bringen.
Uwe Schuster: In Halles Boxszene bekannt wie ein bunter Hund
Beim Profiboxabend am 6. Oktober auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Halle im Ortsteil Schkopau - zwischen Döllnitz und Dieskau - hat Gastgeber Uwe Schuster zehn Kämpfe im Programm. Einer der Hauptakteure ist Lelito Lopez. Gewinnt der 24 Jahre alte Mittelgewichtler auch seinen sechsten Kampf im bezahlten Sport, wartet auf den Hallenser am 18. Dezember in Tempelhof ein Interconti-Titelkampf gegen den Russen Michael Schubov. Der Hallenser Ali Krasniqi, der das Boxer-ABC bei den Amateuren gelernt hat, gib beim Schuster-Event sein Profi-Debüt.
Los geht es um 18 Uhr. Die Karten kosten im Vorverkauf 15 Euro und an der Abendkasse dann 18 Euro. VIP-Gast wird man gegen Zahlung von 49 Euro.
Als Ali Krasniqi und Lelito Lopez schließlich bereit sind, um nach den Kommandos ihres Trainers auf die von der Decke baumelnden Sandsäcke einzudreschen, sieht auch Uwe Schuster so aus, wie man es von ihm erwartet. Schließlich ist er der - selbst ernannte - Commander. Und in Halles Boxszene bekannt wie ein bunter Hund. Wegen seiner markigen Sprüche, natürlich. Vor allem aber auch wegen seiner Boxkenntnisse. Und seines sozialen Engagements.
Wie viele Jugendliche die Stadt dem Trainer zum Ableisten von Sozialstunden geschickt hat, seit er sich vor 16 Jahren in dem Camp „eingerichtet“ hat? Schuster weiß es nicht. Was er weiß: „Bei mir spuren sie alle.“
Manch einer von denen hatte sich dann auch selbst die Handschuhe übergestülpt. Um im Ring zu lernen, seine Aggressionen kontrolliert loszuwerden. Und um Anerkennung zu finden.
Uwe Schuster: Viele Junge Boxer reden viel, aber kneifen am Ende
Zuletzt war’s ruhig geworden um das Camp. Schusters Boxer aus der Anfangszeit sind in die Jahre gekommen. „Und die Jungen“, sagt der 55-Jährige, „die reden zwar viel, aber wenn es ernst wird, dann kneifen sie.“ Sechs, sieben Wochen Vorbereitungsarbeit waren dann für die Katz.
Mal abgesehen davon, dass geplatzte Kämpfe geschäftsschädigend sind. 30 Prozent der Börse, so hält es der Commander mit seinen Schützlingen, gehen an den Coach. Kein Kampf, kein Geld. Von irgendwas muss aber auch ein Uwe Schuster leben.
Richtig reingehauen hat auch die schwere Verletzung seines Sohnes. Die hatte selbst den für seine Nehmerqualitäten bekannten Schuster an die Grenze des Ertragbaren gebracht. Vor zwei Jahren war Philipp Schuster nach einem Kampf in der Kabine zusammengebrochen. Der zuvor im Ring erlittene Trommelfellriss hatte zu einem Blutgerinnsel im Kopf geführt. Reanimation, Reha und mühevolle Rückkehr in das normale Leben folgten. „Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn sie den Jungen damals nicht hätten zurückholen können“, sagt Schuster über seine schwersten Stunden als Trainer.
„Commander“ Uwe Schuster: Ein Bistro als zweites Standbein
Doch es ist noch einmal gut gegangen. Und sein Sohn hat die Seiten gewechselt. Der 29-Jährige steht nun nicht mehr im Ring, sondern in der Trainerecke, teilt sich mit dem Commander die Aufgaben. Im Boxcamp. Und auch im Bistro, das sich Schuster senior nun als zweites Standbein aufgebaut hat.
In einem alten Pförtnerhäuschen auf dem ehemaligen Gelände der MaFa zwischen Dieskau und Döllnitz kocht der alte Haudegen nun Soljanka, brät Rührei oder serviert Kaffee. Damit die Trucker bei ihm zum Frühstück einen Zwischenstopp einlegen, muss der boxende Kantinenchef schon vor dem Morgengrauen aufstehen. Während der eine Schuster sich also mit Brötchen herumschlägt, überwacht der andere den Schlagabtausch im Profi-Camp. Das funktioniert. Von frühmorgens an bis spätabends.
Schuster plant Profiboxabend neben seiner Kantine
Einmal in absehbarer Zeit will der Commander das eine mit dem anderen verbinden. Auf der Wiese neben seiner Kantine soll es demnächst einen Profiboxabend geben. Der Geschäftsmann Schuster muss knallhart kalkulieren. Verluste darf es nicht geben.
So wie vor zehn Jahren bei seinem letzten großen Event, „das toll war, aber sich leider nicht gerechnet hat“. Die Snacks am Ring wird er deshalb selbst liefern. Und er hat Helfer gefunden. Der eine stellt die Kühlung preisgünstig zur Verfügung, der andere die Bestuhlung.
Für ein gelungenes Drumherum sorgt also der Bistrobetreiber Schuster. Dass es sportlich gut läuft, liegt in der Verantwortung des Commanders. Also zieht er im Training die Zügel an. Gibt nun doch voller Inbrunst Anweisungen. Bis die Stimme sich überschlägt. Und sein Gesicht rot anläuft. „Altersheim, oder was?“ Nein, Boxcamp. Wie gehabt.
(mz)