Theater in Ferropolis Theater in Ferropolis: Erinnerung an Kriegsgefangene

Gräfenhainichen - Die Sonne brennt rund um den Schatten, den der Tagebaubagger wirft. Natalia Voskoboynikova fällt in den Staub und robbt auf eine Kiste zu. In der Hand einen zum Gewehr improvisierten Stock, sie ruft einem unsichtbaren Kommandanten zu, sie ist im Krieg. Was die in Sibirien geborene Schauspielerin, die ihr Handwerk an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar lernte, hier aufführt, ist ein kurzer Auszug aus dem dokumentarischen Theaterstück „Komme bald“, das das Eisenbahntheater „Das letzte Kleinod“ am letzten Augustwochenende in Ferropolis zeigen wird.
Vier Schauspielerinnen aus dem umtriebigen Theater erzählen dann die Geschichten von vier Zeitzeugen nach, die die Theatertruppe, die sich mit dem eigenen Zug über die Schienen der Republik zu ihren Spielorten bewegt, im Vorfeld interviewt hat. In jeder Saison, erzählt die Referentin der Gruppe, Lina von Kries, spielen sie ein neues Stück. In diesem jährt sich bekanntlich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Entsprechend werden die Geschichten von Heimkehrern aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern nachgespielt, chronologisch nacherzählt, wie von Kries sagt. Die heute über 90-jährigen Zeitzeugen berichteten etwa von ihrer Schulzeit, der anfänglichen Begeisterung für Hitlerjugend und Nazi-Propaganda, die dann später von der bitteren und grausamen Realität im Krieg abgelöst wurde. An eine Erzählung einer Frau aus der Nähe von Pretzsch erinnert sich von Kries: „Sie hatte sich gewundert, warum die Kriegsgefangenen, die dort in den Ort kamen, so dicke Bäuche hatten. Sie hatte erwartet, ausgemergelte Gestalten zu sehen.“ Das lag freilich nicht an der reichhaltigen Kost in sowjetischen Kriegsgefangenlagern, sondern daran, dass die Bäuche der Ex-Häftlinge von der schlechten und mangelhaften Ernährung aufgequollen waren.
Die Vorbereitung in diesem Corona-Frühjahr sei schwer gefallen, berichtet Schauspielerin Natalia Voskoboynikova. Die Theaterleute, waren mit ihren elf Waggons zur Probe in der niedersächsischen Provinz. Viereinhalb Wochen lang campte die Theatertruppe dort, auch bei einstelligen Temperaturen in der Nacht. Die Schauspieler nutzten die Zeit auch, um russische Kriegsgräber zu besuchen und einige andere Schauplätze aus den Zeitzeugenberichten, die sie nun nachspielen. „Das waren sehr emotionale Erlebnisse“, sagt sie.
Vom 29. bis zum 31. August sind drei Vorführungen in Ferropolis geplant, bevor der Zug weiter nach Weißenfels und zu zwei Stopps in Thüringen rollt. Ursprünglich hatte „Komme bald“ in Körbin bei Pretzsch aufgeführt werden sollen. Da es dort aber organisatorische Probleme - etwa mit den Bauarbeiten an den Gleisen gegeben habe, habe man sich für Ferropolis entschieden, erzählt Lina von Kries. Bis zu 70 Zuschauer könne man unter den veränderten Corona-Bedingungen nun empfangen.
Es sei auch durchaus möglich, dass der Theaterzug im nächsten Jahr wieder in die Stadt aus Eisen kommt. Das Theater arbeitet bereits an einer Geschichte zum Thema Kohle.
››Tickets gibt es aufwww.das-letzte-kleinod.deoder unter der Hotline 04749/1030060. Eintrittspreis ist 28 Euro, ermäßigt 18 Euro. Karten zu den drei Vorführungen sind noch zu haben. (mz)