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Paul-Gerhardt-Gymnasium Paul-Gerhardt-Gymnasium: Mit Abi im Wagen durch Gräfenhainichen

Von Ulf Rostalsky 17.06.2016, 16:08
Kathi sitzt zum Umzug in 99 Luftballons.
Kathi sitzt zum Umzug in 99 Luftballons. Klitzsch

Gräfenhainichen - „Aus, aus. Das Spiel ist aus.“ Die markante Stimme des Radioreporters Herbert Zimmermann erklingt in der Aula das Paul-Gerhardt-Gymnasiums. „Das Spiel ist aus“, formuliert auch Schulleiter Roland Franke. Er ist Fußballfan genug, um Gräfenhainichens 57 frischgebackene Abiturienten mit Weisheiten rund um den Ball ins Leben zu entlassen.

In den Handwagen, um genau zu sein. Wer in der Heidestadt das Abitur schafft, darf das Privileg genießen. Er darf im klapprigen Gefährt sitzen und sich durch die Straßen ziehen lassen. Es ist ein Gaudi, der Hunderte Neugierige begeistert. Zumal die Abiturienten kräftig auf die Pauke hauen und mit Spielmannszug an der Spitze für Furore sorgen.

Der Platz im ersten Wagen ist von Anfang an für die Besten reserviert. Als vor 67 Jahren die ersten Abiturienten durch die Straßen gezogen wurden, war es so. Jetzt sollte es nicht anders sein. Nicole Jessica Duckwitz hat den Vogel abgeschossen: Notendurchschnitt 1,2. Das macht die noch 17-Jährige zur Besten der Besten. Mit goldener Krone und reichlich guter Laune genießt die junge Frau den Moment. Was demnächst kommen wird, ist offen.

„Ich werde mich für ein Medizinstudium bewerben. Hannover wäre eine gute Adresse“, erzählt Nicole. Warum sie dann aber in einem Wagen sitzt, der auf die „Queen of the Day“ aufmerksam macht und mit Londons Skyline sowie Union Jack zum Hingucker wird, erschließt sich nicht sofort. Die „Zugpferde“ kennen allerdings die Antwort.

Der Handwagenumzug durch Gräfenhainichens Innenstadt ist Lohn fürs bestandene Abitur. Das Privileg für Schüler hat eine lange Geschichte. Seit 67 Jahren werden frisch gebackene Abiturienten zumeist von Elftklässlern durch die Stadt gezogen. Deren Aufgabe ist es auch, die Handwagen zu schmücken. Die Palette der Modelle ist groß. Mal sind es kleine Partyinseln, die auf Reisen gehen. Dann werden aus Handwagen Gefährte für Überflieger. Die Wagen haben ihren Platz im Keller des Gymnasiums. (mz/ur)

Leah Neubert und Theresa Heinrich haben Nicoles Wagen geschmückt. „Sie war schon oft in England. Sie schwärmt von der Insel“, erzählen die beiden Elftklässlerinnen, die nicht nur Kreativität beweisen müssen. Sie brauchen Kraft. Eine Runde durch Gräfenhainichens Innenstadt ist ein paar Kilometer lang. Leah und Theresa müssen den Wagen ziehen. Ein Problem? „Nein. Machen wir gern.“ Zumal die berechtigte Aussicht besteht, nächstes Jahr selbst in einem der Handwagen zu sitzen. Bestandene Abiturprüfungen vorgesetzt.

Qualifikation, Vorrunde, K.o.-Spiele und Finale: Schulleiter Roland Franke ist in seinem Element. Er spricht von 84 Spielern, die ab Klasse 5 in drei Mannschaften ins Turnier eingestiegen wären. Er lässt nicht unerwähnt, dass einige davon den Kader verließen und andere sich selbst ins Abseits stellten. Immer wieder stellte sich die Frage, wer im Kader bleibt oder doch noch anderswo sein Glück versucht. 63 Schüler haben durchgehalten. Die Quote ist in Ordnung. „Aber sechs Mal hat es mit der Qualifikation für den Handwagen nicht geklappt.“

Im Klartext: Sechs Schüler haben das Abi nicht geschafft. Für Franke ist das kein Beinbruch. Er will aber nichts schönreden. „Wer fünf Wochen Vorbereitungszeit für eine mündliche Prüfung hat und dort keine einzige Frage beantworten kann, hat das Abitur nicht verdient.“ Roland Franke stellt klar auf menschliche Reife ab, die den Schülern mit dem Abiturzeugnis eben auch attestiert werde.

Es ist der kleine Wermutstropfen an einem Tag, an dem die gute Laune überwiegt. Der bunte Handwagentross zieht durch die Stadt. Im zweiten Wagen sitzt ein bekennender Werder-Bremen-Fan. Doch nicht das macht Jarno Kersten besonders. Er ist der Schüler, der mit 15 Abi machte: Drei Jahre früher als alle anderen. (mz)

Nicole Jessica Duckwitz führt als Jahrgangsbeste in ihrem englischen Wagen den Zug an.
Nicole Jessica Duckwitz führt als Jahrgangsbeste in ihrem englischen Wagen den Zug an.
Thomas Klitzsch
Die Wagen waren bunt: Bero hat das Steuer fest im Griff.
Die Wagen waren bunt: Bero hat das Steuer fest im Griff.
Klitzsch