Heim für straffällige Jugendlichen Heim für straffällige Jugendlichen: Erziehen statt strafen in Tornau

Tornau - Manche der Jungs haben einiges auf dem Kerbholz. Serbest zum Beispiel. Dem 15-Jährigen aus Leipzig wird Raub vorgeworfen: „Ich habe andere abgezogen“, räumt er ein: Handys, Wertgegenstände. Das schnelle Geld hat den kräftigen Jugendlichen gelockt. Und weil es einmal geklappt hat, machte er weiter. Bis plötzlich die Polizei vor der Tür stand. Aus der Jugendstrafvollzugsanstalt hat ihn sein Anwalt geholt, der weiß, es gibt andere Möglichkeiten, junge Leute, die in die Kriminalität abzurutschen drohen, auf den Weg der Tugend zu führen.
Knast ist großer Mist
Seit fünf Wochen lebt Serbest im „Haus Eisenhammer“, einer Außenstelle des Kinder- und Jugendheimes Schloss Pretzsch, wo die harten Fälle eine Heimat finden. Von intensivpädagogischer Betreuung ist die Rede, zwei Wohngruppen mit 14 Plätzen sind im Angebot, bundesweit begehrte Plätze, es gibt Wartelisten. Das Team, das sich um die Jungs kümmert, umfasst 14 Männer und Frauen. Ihr Motto lautet: „Konsequente pädagogische Intervention statt Untersuchungshaft.“ Zum Konzept gehören: strenge Regeln, ein strukturierter Tagesablauf, etwas, das manche der jungen Leute nicht kennen. Auch regelmäßige Mahlzeiten, sagt Sigrun Leine, Leiterin des Salus Kinder- und Jugendheims, seien für einige eine neue Erfahrung. Befördert werden soll letztlich die Einsicht: „Ich kann was machen aus meinem Leben.“
Oft klappt das, manchmal nicht, sagen die Betreuer. Rückschläge seien bei dieser Form der Kinder- und Jugendhilfe nie ganz auszuschließen. Serbest hofft, dass er die Kurve kriegt. Er weiß: Das „Haus Eisenhammer“ ist eine große Chance. „Ich will sie nutzen.“ Nicht zuletzt deshalb, weil der Jugendliche erfahren hat: „Knast ist großer Mist. Ich weiß jetzt, was die Folgen sind. Hier ist es viel besser, hier bist du nicht so ein Untermensch.“
Freilich sei das Reglement streng, „strenger als Zuhause. Man muss sich dran gewöhnen“. Er spricht vom Arbeitsdienst, fünf Stunden täglich: Rasen mähen, Hecke schneiden, Baumstümpfe ausbuddeln, das Haus putzen. Besuch gibt es, aber nicht allzu oft. Serbest hat gelernt: „Wenn man sich benimmt, kommt man hier gut klar.“
Daniel Wiechmann, stellvertretender Leiter des „Hauses Eisenhammer“, kann das bestätigen. Er sagt: „Die Kinder schreien nach Regeln und Normen.“ Für manche sei der Aufenthalt in dem Heim „die schönste Zeit in ihrem Leben“. Er berichtet von erschütternden Erlebnissen, wenn sich zum Beispiel ein Junge zitternd unters Bett flüchtet - er hat in seinem Zuhause mutmaßlich Gewalt erfahren. Es gelte, den straftatverdächtigen Jugendlichen, die Monate oder Jahre im „Haus Eisenhammer“ verbringen, Grenzen zu setzen, ihnen Struktur und Perspektive zu geben. Ein bisschen so etwas wie Familie. Und letztlich „eine reelle Chance zur Neuorientierung“. Das bedeutet auch, Vertrauen aufzubauen.
Das „Haus Eisenhammer“ existiert als Außenstelle des Kinder- und Jugendheims Pretzsch seit 20 Jahren. Inzwischen sei aus anfänglichen Ängsten, aus einem Nebeneinander ein gutes Miteinander geworden. Das sagt der Bürgermeister von Gräfenhainichen, Enrico Schilling (CDU). Beim Holzskulpturenwettbewerb helfen die Jungs des Heims zum Beispiel, sie leisten Sozialstunden oder Praktika im Bauhof. „Sie brauchen Erfolgserlebnisse, die sie früher vielleicht nicht hatten. Hier wird ihnen geholfen, wieder Fuß zu fassen“, erklärt Schilling. Den Erziehern wünscht er beim „Tag der Begegnung“ in der vergangenen Woche starke Nerven.
Bilanz ermutigend
Auf die anfänglichen Ängste, als das Vorhaben „Vermeidung von Strafvollzug“ vor 20 Jahren bekannt wurde, kam auch die ehemalige Bürgermeisterin von Tornau, Ingetraut Bochinski, zu sprechen. „Bei vielen Einwohnerversammlungen ist es uns gelungen, die Leute zu beruhigen. Und von kleinen Vorfällen abgesehen hat sich alles zum Guten entwickelt. Wir sind froh und stolz, sie hier zu haben“, betonte sie.
Dass die Bilanz der 20 Jahre, in denen rund 470 Kinder und Jugendliche in Eisenhammer betreut wurden, insgesamt ermutigend ausfalle, heißt es vom Träger, der Salus gGmbH. Das Konzept einer konsequenten, werte-orientierten Erziehung, die einerseits Grenzen setze und andererseits Vertrauen erzeuge und Brücken baue, funktioniere.
Vor 20 Jahren erstes Projekt seiner Art
Das Haus Eisenhammer war bei der Eröffnung vor 20 Jahren das landesweit erste Jugendhilfeprojekt zur Vermeidung beziehungsweise Verkürzung von Untersuchungshaft bei straftatverdächtigen 14- bis 18-jährigen Jugendlichen. Über die Jahre ist das Angebotsprofil ausgebaut worden, Inzwischen werden auch Kinder ab zwölf Jahren aufgenommen, die einer intensiv-pädagogischen Betreuung bedürfen. Bei straffälligen Jugendlichen sind es oft Delikte wie Raub, Diebstahl oder Körperverletzung, die sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen ließen. Der Ursprung des Gebäudes in Eisenhammer geht auf eine 1497 erbaute Waldschmiede zurück, die im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde.
Das Hammerschmied-Handwerk blieb trotzdem bis Ende des 19. Jahrhunderts dort ansässig. 1882 wurde der Betrieb wegen Unrentabilität eingestellt, ein Heidegasthof hielt Einzug. Zwischen 1920 und 1970 war das Haus Ferienheim der Arbeiterwanderorganisation „Die Naturfreunde“, Hotel und FDGB-Erholungsheim. Ab 1976 wurde es als Bildungsstätte des Rates des Bezirkes genutzt. (mz)