Fleischer in Gräfenhainichen Fleischer in Gräfenhainichen: Das Geheimnis der Nackten

Gräfenhainichen - Ganz Paris träumt von den Nackten - aus der Heide. Fleischer Christian Ziemer kann über den Satz herzhaft lachen. Der ist - zugegeben - ein bisschen übertrieben, aber er besitzt eben auch das berühmte Körnchen Wahrheit. Denn als Elancourt - ein Vorort der französischen Hauptstadt - die Gräfenhainichener zum Treffen der Partnerstädte einlud, wurden die Gäste aufgefordert: „Bringt eure Würste mit!“
Dafür sorgt eben der Metzger. In seinen Filialen in Gräfenhainichen, Zschornewitz, Oranienbaum oder am Verkaufswagen, der die umliegenden Dörfer versorgt, ordern die Kunden einfach „die Nackten“ - das sind Bratwürste ohne Darm. „Die Rezeptur habe ich selbst kreiert“, sagt Ziemer.
Die Röster sind der Verkaufsschlager. „Sie sind schon sehr gefragt“, bestätigt der 70-Jährige. Die Nackten haben aber auch schon Tausende in Ferropolis begeistert. In der Baggerstadt heißt das Produkt mit Blick auf die Bergbautradition „Silber-Bratwurst“. „Dazu haben wir lebensmittelgeeignetes Blattsilber verwendet“, so der Geschäftsführer.
Das Tüfteln nach der „richtigen Mischung“ habe einige Wochen gedauert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Nackten werden zum Hingucker. Aber der Unternehmer betont auch, dass er noch viel mehr interessante Waren im Angebot habe. Dazu zählt der Fleischer die Wildroster oder die Käsebratwurst. Von vielen Experimenten - auch wenn die Nackten ein Nachwendeprodukt sind - halte er nicht viel.
Im Osten seien oft „Schnitzel, Kotelett und Rouladen“ gekauft worden. Und genau das gehe auch heute noch am häufigsten über die Ladentheke. „Menschen, die in den alten Bundesländern ihr Glück versuchten, haben sich oft ihr Fleisch- und Wurstpaket aus der Heimat schicken lassen“, so Ziemer.
Mit Hausgeschlachtetem wurde sein Familienbetrieb 1692 eröffnet. „Das ist das älteste Handwerk in Sachsen-Anhalt“, sagt der Metzger. Möglicherweise ist es sogar die älteste noch geöffnete und im Familienbesitz befindliche Fleischerei in Deutschland. 2018 soll die 13. Generation - der Sohn, der traditionell auch den Vornamen Christian trägt, mit dem Schwiegersohn, der Koch in einem Nobelrestaurant auf Sylt ist - das Familienunternehmen übernehmen.
Allerdings stehen die Gräfenhainichener nicht in einer offiziellen Rankingliste. „Ich bin in keiner Innung, habe ich nie gebraucht“, nennt Ziemer den Grund. Fakt ist, die Göbels in Reutlingen haben eine Fleischerei über 17. Generationen - 419 Jahre - geführt. Das Aus für die Tradition kam im Oktober 2009. Auf eine lange Geschichte können auch Metzger in Berlin-Weißensee seit 1779 oder in Hamburg seit 1836 zurückblicken.
Fest steht, dass Caterina Valente die Nackten aus Gräfenhainichen nicht kannte, sondern sang, dass ganz Paris von der Liebe träume. Und die geht eben durch den Magen. So will Ziemer zumindest das Geheimnis einer funktionierenden Ehe verraten. „Die Frau kann gut kochen und der Mann gut essen“, sagt das Familienoberhaupt. Über das Geheimnis der Nackten - also über die Rezeptur - schweigt der Mann und genießt. (mz)