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Wenn man beim Fernsehen einfach nicht still sitzen kann

Von HELGA KOCH 25.06.2010, 17:22

WIMMELBURG/MZ. - "Es ist ein Teufelskreis. Die meisten von uns haben nicht nur diese Unruhe in den Beinen, sondern auch Schmerzen. Nachts schläft man kaum, tags ist man müde und abgespannt. Das zermürbt", schildert Ingrid Henke aus Sangerhausen. Die ehemalige Krankenschwester weiß seit vier Jahren von ihrem Restless-Legs-Syndrom (kurz RLS genannt, zu deutsch: unruhige Beine).

"Es ist eine Volkskrankheit, die kaum bekannt und diagnostiziert wird. Ursache ist eine Störung im Dopamin-Stoffwechsel", erklärt die 68-Jährige. Sie hat mit anderen Betroffenen vor zwei Jahren eine Selbsthilfegruppe gegründet, die jetzt durch Spenden aus der Benefizgala für behinderte Menschen im Landkreis unterstützt wird.

Inzwischen gehören über zwei Dutzend Betroffene zur Gruppe. Darunter Heike Gronau, Lehrerin aus Wimmelburg und mit 47 Jahren eins der jüngsten Mitglieder. Durch puren Zufall wurde sie auf die Krankheit aufmerksam. "Ich habe im Wartezimmer eine Broschüre in die Hände bekommen und beim Blättern gemerkt, dass ich das ja auch habe." Es folgten neurologische Untersuchungen, sie musste einen Fragebogen ausfüllen. "Manche müssen auch ins Schlaflabor", erzählt sie.

Wie bei vielen anderen neurologischen Krankheiten verläuft auch RLS bei jedem Patienten anders. Bei manchen Betroffenen beginnen schon mittags Beine oder Arme zu zucken, unruhig zu werden, zu krabbeln oder zu schmerzen.

So schlimm, dass sie aufstehen und umherlaufen müssen. Nachts wird es meist noch schlimmer. Nach zwei, drei oder vier Stunden ist es mit dem Schlafen vorbei. Da helfen auch Tabletten oder Pflaster nicht viel.

Sie können zwar die Symptome lindern, die Krankheit aber nicht heilen, sagt Ingrid Henke, die Vorsitzende der Gruppe. Sie hatte Glück, dass ihre Hausärztin die schier unerträglichen Schmerzen in den Beinen und einen nächtlichen Kollaps richtig deutete und sie zum Neurologen überwies.

Durch andere Gruppenmitglieder weiß sie, dass Betroffene oft belächelt werden. Dass sie eine Odyssee von Arzt zu Arzt erleben und endlose Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, bis die Krankheit endlich erkannt wird. "Es gibt Fälle, da haben's Patienten schon 30 Jahre."

Kritisch könne es werden, wenn die Krankheit unerkannt bleibt und ein Patient bei einer Operation unruhig wird.

Auch wenn die Forschung noch keinen Durchbruch erzielt hat, können RLS-Patienten selbst versuchen, Symptome zu mildern. Mitunter helfen kalt-warme Wechselduschen, ein regelmäßiger Tagesablauf, eisenhaltige Ernährung. Alkohol und Kaffee sollte man meiden. Beruhigende Sportübungen wie Yoga sind ungünstig, abends auch schnelles Spazierengehen, Sport oder reichliches Essen.

"Wichtig ist es, in der Familie über die Krankheit zu sprechen", rät Heike Gronau. Denn welcher Partner verstehe schon, dass ein gemeinsamer Kino- oder Theaterbesuch unmöglich ist, weil man einfach nicht zwei Stunden still sitzen kann? Oder dass man beim Fernsehen Kniebeuge macht oder um den Tisch läuft? "Wer RLS hat, sondert sich oft ab, weil er nicht stören will, und vereinsamt." Umso wichtiger sei für sie alle die Selbsthilfegruppe, in der jeder offen über seine Probleme sprechen kann und Verständnis findet. In der über Ärzte, Medikamente und Erfahrungen geredet wird. Egal, ob man Mitte 40 oder Mitte 80 ist.