1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Eisleben
  6. >
  7. Flüchtlinge: Flüchtlinge: Turbulente Stunden in Helbra

Flüchtlinge Flüchtlinge: Turbulente Stunden in Helbra

Von Daniela kainz 05.11.2015, 13:43
Bei diesem Besuch wird ausgemalt: Gudrun und Günter Urban helfen den Kindern.
Bei diesem Besuch wird ausgemalt: Gudrun und Günter Urban helfen den Kindern. Jürgen Lukaschek Lizenz

Helbra - Wie ein kleiner Schneemann ganz aus Wolle gebastelt wird? Der fünfjährige Mohamed und seine vier Jahre alte Schwester Barira werden das bald genau wissen. Gudrun Urban will die Geschwister mit somalischen Wurzeln in die Geheimnisse dieser Handarbeit einweihen. Das hat sich die Helbraerin, die von den Kindern ganz selbstverständlich „Oma“ genannt wird, für die nächste Zeit vorgenommen.

„Das Häkeln übernehme ich, aber die Kinder können den Schneemann bemalen“, überlegt die 62-Jährige. Sie und ihr Ehemann Günter betreuen die Kleinen seit einem halben Jahr liebevoll an drei Nachmittagen in der Woche.

Als sie den Kindern und deren Mutter zum ersten Mal begegnete, „stimmte die Chemie sofort, auch ganz ohne Worte“, erinnert sich Gudrun Urban. Über den Kinderschutzbund in Eisleben lernte sie die Flüchtlingsfamilie kennen. Die alleinerziehende Mutter von Mohamed und Barira hatte sich hilfesuchend an die Einrichtung gewandt, um in Deutschland besser zurecht zu kommen. Schnell wurde die ehrenamtliche Patenschaft perfekt und die Kinder mit ihrer Mutter ein Teil der Helbraer Familie.

Zeit mit Kindern aufregend und anstrengend

Die aufgeweckten Geschwister fordern Urbans ganz und gar. Die gemeinsamen Stunden mit den Kindern sind für das Ehepaar aufregend und anstrengend zugleich. „Wir holen die Kleinen aus dem Kindergarten ab, fahren mit ihnen zu uns nach Hause oder in den Garten, dann wird gespielt oder wir machen Ausflüge“, erzählt Gudrun Urban. Nach dem Abendbrot bringen sie die Kinder zurück zur Mutter nach Eisleben, wo sie seit eineinhalb Jahren wohnen.

Mit Mohamed und Barira werde es nie langweilig und habe das Leben wieder einen Sinn. Genau das sei es, was sie gesucht habe, sagt Gudrun Urban. Die EU-Rentnerin wollte nicht nur zu Hause sitzen: „Ich konnte doch nicht den ganzen Tag stricken oder putzen.“ Die Familie des Sohnes mit dem zwölfjährigen Enkel lebe weit weg in München. Da wäre ihr die Decke auf den Kopf gefallen.

Somalia ist ein föderaler Staat im äußersten Osten Afrikas am Horn von Afrika. Die Sicherheitslage in Somalia ist wegen des anhaltenden Bürgerkrieges und der Piratenüberfälle vor der Küste schlecht. Die Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, die Kriminalität nachhaltig zu bekämpfen.  

Der Alltag vor allem im Süden und in der Mitte Somalias bleibt von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den sie unterstützenden internationalen Kräften (AU-Mission AMISOM) einerseits und der radikalislamistischen Terrorgruppe al-Schabaab andererseits geprägt.

Als die Familie von der neuen Aufgabe der Eltern erfuhr, war sie begeistert. „Unser Sohn findet toll, was wir machen, und erkundigt sich oft nach den beiden Kindern.“ Freunde und Bekannte reagierten genauso aufgeschlossen. „Viele von ihnen haben uns Spielzeug für die Kinder geschenkt“, sagt Gudrun Urban und zeigt auf ein großes Schubfach voll mit Spielen, Mal- und Bastelmaterial. Auch Roller für die Kleinen wurden vorbeigebracht. „Dafür möchten wir uns bedanken“, so die Helbraerin. Denn: Mit ihrer Rente und dem Hartz-IV-Satz ihres Mannes müssten sie auch haushalten und könnten nicht aus dem Vollen schöpfen.

In der Zeit, die die Kinder mit Urbans verbringen, lernt ihre Mutter zu Hause Deutsch und seit kurzem - nach monatelangem Warten auf einen freien Platz - endlich auch in einem Integrationslehrgang. „Das ist ganz wichtig, damit sie sich auch wieder mit ihrem Sohn und ihrer Tochter richtig verständigen kann und sich Mutter und Kinder nicht entfremden“, weiß Gudrun Urban. Mohamed und Barira unterhalten sich inzwischen nur noch auf Deutsch, so wie sie es aus dem Kindergarten und von ihren Besuchen bei Urbans kennen.

Hilfestellung beim Start in ein neues Leben

Die Helbraer Eheleute versuchen, auch der Mutter ihrer beiden Schützlinge Hilfestellung beim Start in ein neues Leben zu geben. Sie begleiten sie zu Behörden und organisierten Möbel für die Wohnung der kleinen Flüchtlingsfamilie. Die 30-jährige Mutter ist dankbar, nimmt jeden Rat und Hinweis bereitwillig an. Sie interessiert sich für die kulturellen Gepflogenheiten in der neuen Heimat und übernimmt sie. Als ihr Gudrun Urban zu Mohameds Geburtstag erklärte und zeigte, dass in Deutschland an einem solchen Ehrentag ein selbst gebackener Kuchen auf die Festtagstafel gestellt wird, buk die junge Mutter zum Geburtstag ihrer Tochter dann gleich selbst einen Geburtstagskuchen.

Welcher bürokratischer Aufwand von Flüchtlingen mitunter überwunden werden muss, um Dinge des täglichen Lebens zu regeln, löst bei Urbans immer wieder Kopfschütteln aus: „Manches kann man einfach nicht nachvollziehen.“ Unverständlich bleibt ihnen auch, wieso ein Flüchtling nach einem positiv abgeschlossenen Asylbewerbungsverfahren erneut eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen muss - und das mehrfach über Jahre hinweg, bis ein endgültiges Bleiberecht gewährt wird. So erging es jetzt wieder der Mutter von Mohamed und Barira. Fest stehe aber, weiß Gudrun Urban, dass die kleine Familie nicht mehr abgeschoben werden könne.

Über das Schicksal von Mohameds und Bariras Mutter ist ihr jedoch nicht viel bekannt: „Die junge Frau floh aus persönlichen Gründen mit ihren Kindern nach Deutschland, und es gibt noch einige Verwandte in Somalia.“ Die Helbraerin hofft, eines Tages mehr über das bisherige Leben der Familie zu erfahren. Die Sprachbarriere macht einen intensiven Austausch bisher unmöglich. Gudrun Urban setzt auf den Deutschkurs, den die Mutter der Kinder jetzt besucht: „Ich habe noch viele Tausend Fragen an sie.“ (mz)