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Ersetzt die Fahne das Denken?

Von GUDRUN RIEDEL 19.07.2009, 16:32

EISLEBEN/MZ. - Zum Kabarett im Freien genüsslich ein Bier trinken zu können, ist ja auch ein Event der besonderen Art und wird angenommen: das Gastronomie-Theater.

Dazu passte haargenau Ralf Richters Art der Begrüßung: "Sie haben wohl überhaupt keine Hemmungen mehr, hierher zu kommen. Da spricht man in Deutschland ständig übers Weiterkommen und Tätigwerden und Sie sitzen hier einfach so rum". Das kam an, befreites Lachen und Beifall. Erwartungshaltungen waren geschürt, was so alles unter dem Titel "Aber bitte mit Fahne" noch aufgetischt wird. Vier weitere Mimen, Mario Welker, Stefan Schneegass und Barbara Schüler vom Wittenberger Kabarett "Reißzwecken" und Sabine Genz als Gast vom Berliner Kabarett "Kartoon", gesellten sich zu Richter und nahmen mit wehenden roten Fahnen unter Melodieverwendung des Udo-Jürgens-Songs "Aber bitte mit Sahne" aufs Korn, wo dem Deutschen heute der Schuh drückt.

Wie die vier Theatermacher agierten und dabei hervorragend von dem Pianisten Stephan Weissleder begleitet wurden, ist lobenswert und wurde vom dankbar aufmerksamen Publikum mit Lachen und Beifall quittiert. Da kam keine Langeweile auf. Denn die facettenreiche frech-frische Art der professionellen Unterhaltung, die so herrlich kabarettistischen Überhöhungen und Zuspitzungen, die sparsame Kostümierung und die ausdrucksstarken Gesten und Mimiken, die sprachlich guten Textinterpretationen und der wohlklingende, kabarettistisch angehauchte Gesang gefielen und unterstützten bemerkenswert gut das Verständnis für Weis- und Dummheiten von gestern und heute.

Der Eisleber Schauspieler Ralf Richter, erst vor wenigen Tagen mit dem "Mansfeld-Oskar", dem Publikumspreis für den beliebtesten Schauspieler der zurückliegende Spielzeit der Landesbühne geehrt, schrieb den größten Teil der Texte.Dass man sich darin wiedererkennt, wenn zum Beispiel für Frau Holdenreich-Schlönze (Barbara Schüler) Einkaufen heute so eine Art Sex ist, weil man alles an anfassen kann oder wenn nach dem bekannten Operettenlied von Franz Lehar "Niemand liebt dich so wie ich", die gut aufgelegte und noch besser singende Berlinerin Sabine Genz feststellt "Niemand liebt mich so wie ich", dann ist das eben Kabarett bester Art und Weise, wo man nachdenken muss, um die Hintergründigkeit zu verstehen.

Herrlich urkomisch und karikiert die Szenen "Talk im Fernsehen". Hier wurde mehr als deutlich, dass alle über alles reden und keiner so richtig Ahnung hat, worüber geredet wird. Hauptsache man zeigt sich bunt und schrill und wird gesehen.

Zum laut- und singstarken Finale kam noch einmal die Fahne ins Spiel, die das Fahnenschwenken zurückliegender Zeiten assoziierte. Ja, meinten alle im Chorus, die Deutschen hören auf zu denken, lässt man sie nur die Fahnen schwenken. Gab´s das wirklich mal? Herzlicher Beifall dankte den Akteuren für Spiellaune, Witz und guten Gesang. Selbige versprachen ein Wiederkommen 2010.