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Ein Kämpfer geht von Bord

Von Roman Haeusgen 21.12.2007, 17:52

Halle/MZ. - Der Mann will in den Ruhestand? Dass sich ein solches Energiebündel selbst auf reduzierte Kraft schalten will, ist kaum vorstellbar. Und doch ist es amtlich: Am gestrigen Freitag hatte Hubertus Luthardt seinen letzten Arbeitstag bei MKM-Kazakhmys. Nach genau 15 Jahren als Betriebsratsvorsitzender kehrt der 62-Jährige seinem Betrieb den Rücken. "Vor zwei Jahren hatte ich einen Herzinfarkt, ich muss raus aus dem Stress, sagen die Ärzte." Luthardt beugt sich dem. Mit der Geschäftsleitung sei Übereinkunft erzielt worden.

Seit mehr als zehn Jahren laufen die Geschicke des Mansfelder Betriebes in geordneten Bahnen. Voraussetzung dafür war die Übernahme durch die belgische Lamitref und schließlich der Verkauf an die kasachische Unternehmensgruppe. Wenn Luthardt die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, so ist es vor allem jene Zeit zwischen der Wende und der Übernahme durch die Belgier. Die Erinnerungen sprudeln nur so aus ihm heraus - gespickt mit exakten Daten, Zahlen und Namen. "Ich bin ein Opfer des eigenen Gedächtnisses", sagt er scherzhaft und schon ist er wieder mittendrin in jenen Jahren des Kampfes.

Es ging nach der Wende vor allem darum, die Einheit Walzwerk und Kupfer-Silberhütte möglichst als Ganzes zu erhalten. "Denn wir hatten allerhand Marktanteile", weiß Luthardt über die damaligen Absatzmöglichkeiten des Halbzeugfertigers. Dies passte jedoch nicht alteingesessenen westdeutschen Konkurrenten. "Deshalb wollte uns die Treuhand platt machen und in lauter kleine Einheiten zerschlagen", so Luthardt, damals auch Arbeitnehmer-Mitglied im Aufsichtsrat der ehemaligen Mansfeld AG, die später mit MKM verschmolzen wurde. "Dagegen galt es anzukämpfen, ich bin fast jeden Tag zur Treuhand gefahren. Das war eine verdammt aktive Zeit."

Etwa vier große Konkurrenten hatten ein Auge auf den Betriebsverbund am Lichtlöcherberg mit seinen damals rund zehntausend Beschäftigten geworfen. "Die Treuhand hat mit unserer Konkurrenz Händchen gehalten mit dem Ziel, ihnen jeweils ein Stück zu geben, das dann eine Weile fortgeführt und schließlich still gelegt wird." Verschärft wurde die Situation für den Hettstedter Betrieb, dass die Mansfeld AG bereits einen Kredit in Höhe von 350 Millionen Mark bekommen hatte "und jegliche Investitionen mit den eventuellen Übernehmern abgesprochen werden mussten", so Luthardt, auf die einzelnen Fertigungsbereiche wie Blech / Band, Draht oder Rohre verweisend.

Deutete das also darauf, dass die Zerschlagung schon so gut wie besiegelt schien, wurde dies noch deutlicher angesichts eines Konzeptes einer großen Gesellschaft der Metallbranche: MKM sollte auf 560 Leute heruntergefahren und die Hütte stillgelegt werden. Doch verhindert wurde all das nicht zuletzt durch Willensbekundungen der Walzwerker und Hüttenleute auf dem Hettstedter Marktplatz, vom Betriebsrat unter Luthardts Führung organisiert. "Die Treuhand bekam Gänsehaut, die dachten hier gibt es neue Märzkämpfe."

Schien der Erhalt des Betriebes in seiner Gesamtheit der hauptsächlichen Produktionsbereiche erst einmal gerettet, "wurde uns dafür ein knallharter Sanierer angekündigt", so Luthardt. Vorstandsvorsitzender der Mansfeld AG wurde Dr. Friedrich Wöpkemeier. "Der Mann kam gerade aus dem italienischen

Knast, wo er zu Unrecht für Manipulationen eines Unternehmens auf dem holländischen Markt gebüßt hatte. Und er wurde rehabilitiert. Doch umso mehr lechzte er danach, bei uns seine Fähigkeiten als Geschäftsführer unter Beweis zu stellen." Aber obwohl Wöbkemeier eigentlich mit einem Zerschlagungsauftrag ausgestattet gewesen sein soll, "hat uns der Mann geholfen". Ende 1994 präsentierte sich MKM in gänzlich neuer Gestalt. "Es waren 32 kleine Buden ausgegründet worden - vom Schuhmacher bis zur Druckerei. Mehrere eigenständige Betriebe entstanden, unter anderem Aluhett. Der Betrieb hatte nur noch 600 Mitarbeiter, aber keiner war in Arbeitslosigkeit gegangen."

Freilich tauchte 1995 erneut das Gespenst der Zerschlagung auf. 17 Übernehmer legten ihre Konzepte vor. "Einer kam hier rein und bot mir fünf Prozent Beteiligung, wenn ich bewirke, dass ihn die Belegschaftsvertretung unterstützt. Ich habe ihn des Feldes verwiesen." Bei diesem "spendablen Investor" handelte es sich übrigens um jenen Mann, der einst an der Spitze einer Unternehmensgruppe stand, die Aluhett übernommen hatte und sich nun wegen Erschleichung von Fördermitteln vor Gericht verantworten muss.

Doch schafften es Luthardt und seine Mitstreiter, Bundespolitiker zu mobilisieren, die sich für den Erhalt von MKM einsetzten. Ex-Außenminister Dietrich Genscher gehörte ebenso dazu wie der damalige Ost-Beauftragte Johannes Ludewig und Bundeskanzler Helmut Kohl, auch Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann und Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Schließlich kam es zur europaweiten Ausschreibung des Unternehmens und zur Übernahme durch Lamitref. "2001 hatten wir dann unser erstes positives Betriebsergebnis", so Luthardt, der jetzt daran denkt, all diese Erlebnisse für ein Buch zu verarbeiten.

"Dafür habe ich jetzt die Zeit", meint er, zählt aber zugleich seine Hobbys auf, denen er sich widmet: die Jagd, seine Pferde, seine Zuchtvögel. Mit seinen Japanischen Mövchen, einer Finkenart, ist er zum Beispiel Landesmeister von Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Ganz abgesehen davon, dass er ja auch noch bei der SPD-Fraktion im Hettstedter Stadtrat sitzt. "Alle meine Hobbys wären schon für viele purer Stress", schmunzelt Luthardt.