Vor 90 Jahren Bahnhof in Eisleben: Paul Beckmann zog vor 90 Jahren mit seiner Familie in das Gebäude ein

Eisleben - Am 1. Dezember 1926 zeigte Paul Beckmann „einem geehrten Publikum von Eisleben und Umgebung“ an, dass er „mit dem heutigen Tage den Betrieb der Bahnhofswirtschaft übernommen habe“ und bestrebt sei, die werten Gäste und das reisende Publikum in jeder Weise zufriedenzustellen.
Beckmann trat als Pächter die Nachfolge von Hermann Klose an, der noch ein reichliches halbes Jahr zuvor den Besuch „der neu hergerichteten Räume“ und der „gut angelegten Terrasse mit Ausblick über die Aue bestens empfohlen“ hatte.
Um den Eisleber Bahnhof gab es erhebliche Veränderungen
Bis dahin gab es rund um den Bahnhof erhebliche Veränderungen. Das Eisleber Tageblatt sprach im Oktober 1925 von einem „Neubau“, durch den der Bahnhofsvorplatz „erheblich kleiner geworden“, sei. Vermutlich handelte es sich dabei um jenen Vorbau, der bis vor wenigen Wochen bestand und der die Planer seinerzeit veranlasste, den Bahnhofsplatz „dem Umfang des neuen Gebäudes entsprechend“ umzugestalten.
Das Tageblatt kündigte am 24. Oktober 1925 an: „Die Straßenbahnschienen werden herausgerissen, der Bürgersteig erheblich verbreitert und am Eingang vorbeigeführt. Der Beleuchtungsmast wird einige Meter zurück in die Mitte des Platzes gesetzt.“
Die Arbeiten sollten bis zum Jahresende ausgeführt werden, wobei auch an einen neuen Anstrich gedacht war. „Eisleben wird dann endlich einen Bahnhof besitzen, der nicht nur allen Anforderungen des Verkehrs gewachsen ist, sondern auch ein schönes, wohlgestaltetes Bild bietet“, so das Tageblatt.
Der im Jahr 1865 errichtete Bahnhof Eisleben war nach 2012 zeitweilig vom Abriss bedroht. Das Gebäude stand leer, eine neue Nutzung war nicht in Sicht. In dieser Situation gründete Thomas Fischer, Vorsitzender des Vereins Mansfelder Bergwerksbahn und Stadtrat in Eisleben, mit einigen Mitstreitern eine Genossenschaft, um das Gebäude zu erhalten und wieder mit Leben zu erfüllen. Die Genossenschaft kaufte schließlich den Bahnhof für den symbolischen Preis von 8.000 Euro und setzte eine Entwicklung in Gang, die in Sachsen-Anhalt ohne Beispiel ist. Die Nahverkehrs-Gesellschaft Nasa bewilligte der Genossenschaft eine Million Euro Zuschuss für die Sanierung, die nach Lage der Dinge bis zu den Höhepunkten des Reformationsjubiläums 2017 zum Abschluss gebracht werden kann. Mieter stehen bereit, die die Räume nutzen möchten. (bz)
Für den Pächter der Bahnhofsgaststätte dürfte die Bautätigkeit aber wohl mit erheblichen Umsatzeinbußen verbunden gewesen sein, denn als Paul Beckmann sich entschloss, die Wirtschaft zu übernehmen, war ihm klar, dass er auch noch die nicht eben geringen Schulden seines Vorgängers übernehmen musste.
Beckmann war bis dahin Pächter der Bahnhofsgaststätte im benachbarten Röblingen am See und sah in dem Umzug nach Eisleben eine große Chance für sich und seine junge Familie. Der 38-Jährige dachte sogar daran, beide Gaststätten gleichzeitig zu betreiben, erkannte jedoch bald, dass das für ihn auf die Dauer nicht möglich sein wird.
Und so konzentrierte er sich auf Eisleben und die Tilgung seines Kredits, was ihm 1938 nach zwölf Jahren Arbeit auch gelang, wie Oswin Beckmann Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen an seinen 1976 in Köln verstorbenen Vater schreibt. Dieser sei eine Frohnatur gewesen, ausgestattet mit der Gabe, auch in schwierigen Situationen immer wieder Zuversicht an die Menschen in seiner Umgebung auszustrahlen.
Paul Beckmann war bis zum Kriegsende Kreisvorsitzender des hiesigen Gaststättenverbandes und, „das kann man wohl sagen, in der ganzen Stadt bekannt“, wie Sohn Oswin es ausdrückt, der 1939 als 15-Jähriger die Modernisierung der elterlichen Wohnung erlebte.
Einfache und unvorstellbare Lebensverhältnisse der Familie Beckmann
Bis dahin lebte seine Familie in Verhältnissen, die heute nicht mehr vorstellbar sind. „Neben einer sehr kleinen Küche, die sich zwischen den Wartesälen befand und die zugleich für den Betrieb und die Familie genutzt werden mußte, gab es im Erdgeschoß nur noch ein kleines, ungemütliches Wohnzimmer, das von der Küche aus über einen dunklen und nicht beheizbaren Flur zu erreichen war“, erinnert sich Oswin Beckmann und dass es zum Waschen in den Schlafräumen, die nur über die Straße zu erreichen waren, lediglich Waschschüsseln gab.
„Heute würde wohl niemand mehr so primitiv wohnen wollen“, schreibt er und überlegt: „Es ist nur das Eigenartige, daß wir diesen Mangel damals nie so gravierend empfunden haben...“ (mz/mz)
