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Wirtschaft in Dessau Wirtschaft in Dessau: Ein zarter Hauch von "Fine"

Von silvia bürkmann 23.04.2014, 18:46
In der Gärungschemie Dessau wird Quark zersetzt, zentrifugiert und getrocknet.
In der Gärungschemie Dessau wird Quark zersetzt, zentrifugiert und getrocknet. sebastian Lizenz

Dessau/MZ - Durch das Haupttor an der Johann-Meier-Straße oder durch die Nebeneingänge am alten Verwaltungs - und Konsumgebäude gingen täglich über 1000 Menschen zur Schicht in die „Fine“, wie der Volksmund in DDR-Zeiten den VEB Gärungschemie rief. Die Erinnerung an die inzwischen über 140-jährige Geschichte des Industriestandortes der alten Zuckerraffinerie blieb lebendig, auch als nach dem Krieg kein Zucker mehr produziert wurde. Aus Dessau kam jetzt der Primasprit. Gewonnen aus Melasse, einem Rückstand der Zuckergewinnung und veredelt zu 96,6 Prozent reinem Alkohol. Die „Fine“ war in Osteuropa mit der Produktion von 450 bis 500 Hektolitern der absolute Riese.

Heute passieren noch sieben Mitarbeiter das Werktor an der nur öffentlich gewidmeten Straße An der Fine. Am Mittwoch sind es ein paar Gäste mehr, als Oberbürgermeister Klemens Koschig den Firmensitz der Gärungschemie Dessau GmbH ansteuert und von Geschäftsführer Uwe-Carsten Heuser zu einem Betriebsrundgang empfangen wird. „Die alte Dame hat über 140 Jahre auf dem Buckel, aber noch einiges vor“, spricht Heuser - seit 1980 ein Fine-Mann von echtem Schrot und Korn - von seinem Betrieb. Auch wenn das nach außen anders dargestellt werde; „die Fine lebt“.

"Das ist ausbaufähig"

Dank der Tatkraft von einheimischen, mittelständischen Unternehmen, die 1992 als ein Konsortium die Gärungschemie übernahmen und über kleine Nischenproduktionen am Leben hielten. „Wir brauchen in Dessau nicht noch eine Industriebrache.“ Der Betrieb hinter den dicken Backsteinmauern sieht betagt aus, aber nicht verrottet. „Mal geschätzt: Vier Monate Generalreparatur und die Anlagen kämen wieder ins Laufen“, ist Heuser überzeugt und führt den Besuch in das sauber gekehrte Destillationsgebäude. In dem Mauerwerk hängt noch immer ein Hauch vom früher unverkennbarem „Fine“-Duft, im Raum recken sich Gärbehälter in Kolonnen bis hoch zur Decke.

Aber die Gärungschemie Dessau GmbH will kein Museum sein. In einem blitzsauberen Gebäude wird Esma-Spreng gefertigt, ein pharmazeutisches Hilfsmittel, das den Wirkstoff schneller in den Organismus bringt. „Ein biologisches Produkt auf Quark-Basis“, beschreibt Heuser die Nische, die Exporte bis nach China und in die Türkei, „ach, in alle Welt“ realisiert. Hergestellt werden etwa 900 Kilogramm pro Woche, rund 25 Tonnen im Jahr - „das ist ausbaufähig“. Ein nächstes Projekt könnte der „große Wurf“ werden: Ein Fluxmittel für die Bitumensanierung, auch dieses auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. „Gemeinsam mit der Hochschule sind wir da sehr weit in der Forschung, wollen das Produkt bis 2016 zur Patent- und Produktionsreife führen.“ Vom agilen Leben an einem totgesagten Ort beeindruckt zeigt sich der Oberbürgermeister. Die Wirtschaftsförderung würde die Fluxmittel-Sache im Auge behalten. „Denn ein historischer Standort macht am besten Sinn, wenn hier Leute arbeiten gehen.“

Die Gärbehälter sind außer Betrieb und museal.
Die Gärbehälter sind außer Betrieb und museal.
sebastian Lizenz