Wiederaufbau in Dessau Wiederaufbau in Dessau: "Ich möchte das Wirken meiner Mutter ins Bewusstsein bringen."

Dessau - Es war kurz nach dem Krieg, Dessau lag in Trümmern, als in Leipzig ein weißes Auto vorfuhr. Zwei Männer stiegen aus und wollten zur Mutter. „Weißt du was? Die wollen mich nach Dessau holen, für den Wiederaufbau“, erzählte Edith Dinkelmann danach ihrer Tochter.
Viele Spuren hinterlassen
Dessau - das Herz der Mutter hing schon damals an dieser Stadt. Als Architektin hat Dinkelmann (1896 - 1984) dort viele Spuren hinterlassen. Fast 70 Jahre nach dem Dessauer Ruf steht am Freitagmorgen ihre Tochter Dore Dinkelmann-Möhring auf dem Friedhof im Zentrum.
Hunderte Kilometer ist sie aus Baden-Württemberg gefahren, weil auch sie eine tiefe Bindung zur Stadt hat. „Ich möchte das Leben und Wirken meiner Mutter ins Bewusstsein bringen. Das ist eine Herzensangelegenheit“, sagt die 82-Jährige.
Zweite Spende
Deshalb spendet sie für die Restaurierung der Kolumbarien auf dem Friedhof I. Für diese besondere Urnenstätte gab sie 20.000 Euro in diesem Jahr, im vergangenen war es ebensoviel. 2015 hatte sie ihre Mutter nach Dessau umbetten lassen, weil die Stadt trotz Flucht in den Westen eben Heimat war.
„Auch ich will einmal auf dem Friedhof begraben werden. Ist alles schon organisiert“, sagt Dinkelmann-Möhring lachend. Die Dame ist hellwach, mit klugen blauen Augen und zupackend. Schnellen Schrittes geht sie über den Friedhof, lässt sich vom Steinmetz Volker Wotzlaw erklären, was erneuert worden ist. Mit der ersten Spende hatte sie das Portalkolumbarium vor dem Verfall bewahrt.
Eine beeindruckende Frau
Es ist Teil der Urnenfriedhofsanlage, die die Mutter in den 1920er Jahren entworfen hatte. Derzeit arbeitet der Steinmetzbetrieb an den Mauern der zwei zentral angeordneten Kolumbarien. Und die 82-Jährige schmiedet schon neue Pläne, wo sie noch unterstützen kann.
Eine beeindruckende Frau, sagen die, die sie seit einer Woche begleiten. Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die die Begegnung auch zu Tränen rührt. Weil da eine Frau im hohen Alter voller Energie Geschichte zum Leben erweckt.
„Auch wenn das paradox klingt - wir sind ja hier auf einem Friedhof“, so Dinkelmann-Möhring. Ihre Mutter hatte ab 1915 in Braunschweig Architektur studiert - und war die erste diplomierte Architektin Deutschlands. 1920 bekam sie ihre erste Anstellung als Architektin bei der Siedlungsgesellschaft Dessau.
Die größte Herausforderung war der Friedhof
Sie plante die Häusergruppe am Achteck und des Giebelwegs, es folgte unter anderem die Siedlung Hohe Lache. Als Angestellte im Stadtbauamt entwarf sie später auch das Dienstgebäude auf dem Schlachthof. Die größte Herausforderung war die Umgestaltung auf dem Friedhof I. Bei den Arbeiten lernte sie dort ihren späteren Ehemann kennen.
Auf dem Fahrrad war sie mit dem jungen Mann zusammen gestoßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, Dinkelmann wohnte inzwischen in Leipzig, kehrte sie nach Dessau zurück und wollte beim Wiederaufbau der Residenzstadt helfen. Sie wurde Baurätin, leitete das Planungsamt und war auch damit beauftragt, die Buden vor der Marienkirche am Schloßplatz wieder aufzubauen.
„Meine Jugend in Dessau habe ich als besonders intensiv in Erinnerung“, sagt Dinkelmann-Möhring. „Die Landschaft war prägend. Und meine Mutter hat so viel von der Stadt erzählt, ihrer Geschichte, von Vater Franz. Das faszinierte mich.“ In Dessau legte sie ihr Abitur ab und ging 1954 zum Architektur-Studium nach West-Berlin.
Deutliche Worte
Ihre Mutter verließ Dessau 1958. Die politischen Verhältnisse hatten sich verändert: Verzweifelt über die Sprengung des Schlosses und das Verbot zum Wiederaufbau der Buden, ging sie nach Waldbronn in Baden-Württemberg. Dessau blieb ein Sehnsuchtsort. Dore Dinkelmann-Möhring arbeitete lange als Regionalplanerin für Gemeinden. Um das Erbe ihrer Mutter zu bewahren, hatte sie 2013 Kontakt nach Dessau aufgenommen.
Am Ende ihres Besuches hat sie eine deutliche Forderung: „Ich habe viel Schönes gesehen, aber auch viel Hässliches. Die Stadt hat keine Mitte, kein Zentrum.“ Dass Dessau durch Bomben zu 80 Prozent zerstört worden war, weiß sie. „Aber Leute, das ist Jahrzehnte her. Es gab Zeit, ein Konzept zu entwickeln, das der Geschichte dieser Stadt würdig ist. Man braucht eine Idee und ein Ziel. Packt das an.“ (mz)