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Geschichte auf der Schiene Wie Dessau vor 30 Jahren zu 14 Straßenbahnen „Made in West Germany“ gekommen ist

Vor 30 Jahren bekam Dessau 14 gebrauchte Straßenbahnen aus Duisburg. Für Personal und Fahrgäste hatten sie einige Vorteile.

Von Christoph Pohl 03.09.2022, 12:00
Triebwagen 003 auf einer Fotosonderfahrt am 26. Juni 2016.
Triebwagen 003 auf einer Fotosonderfahrt am 26. Juni 2016. (Foto: Dirk Edelmann)

Dessau/MZ - Schon kurz nach dem Mauerfall wurden die ostdeutschen Straßen mit Fahrzeugen aller Art, besonders aber mit Autos aus westlicher Produktion geradezu überschwemmt. Schon bald war klar, dass viele davon nur noch Schrottwert besaßen. In einigen Städten tauchten aber auch gebrauchte Straßenbahnen „made in western germany“ auf, die zum Teil sogar heute noch im Einsatz sind. In Dessau ist es mittlerweile 30 Jahre her, dass die Straßenbahn 14 achtachsige gebrauchte „Düwag-Gelenkwagen“ vom Typ GT8 aus Duisburg übernehmen konnte.

Sie waren nach der Eröffnung des Stadtbahntunnels in Duisburg entbehrlich geworden und sorgten in Dessau für eine kleine Revolution: Noch nie hatte die Dessauer Straßenbahn Drehgestellwagen gehabt, der so mögliche Fahrkomfort war also ein absolutes Novum. Teilweise waren die „neuen“ Wagen sogar älter, als die bis dahin eingesetzten zweiachsigen Trams aus DDR- Produktion.

Ab Dezember 1992 kamen die Fahrzeuge in Dessau zum Einsatz - bis 2002 hinein rollten sie durch die Stadt

„Ein zweiter Grund für die Änderung war der Wegfall des Anhängerbetriebes aus technischen Gründen und zur Verbesserung der Sicherheit für die Fahrgäste “, kann Torsten Ceglarek, Geschäftsführer der Dessauer Verkehrs GmbH, noch ergänzen. „So konnten die Fahrpersonale die durchgehenden Wagen besser einsehen.“ Auf der Suche nach geeigneten Fahrzeugen sollten die Bahnen eine Wagenkastenbreite von 2,20 Meter haben und mussten spurgleich sein. Die Breite resultierte aus der Torsituation der alten Wagenhalle für die Straßenbahnfahrzeuge. Ab Dezember 1992 kamen die Fahrzeuge in Dessau zum Einsatz. Bis 2002 hinein rollten sie durch die Stadt.

Beide Bauarten, sowohl die zweiachsigen Gotha- und Rekowagen aus der DDR als auch die achtachsigen Gelenkwagen aus Westdeutschland, folgten der Idee der Einheitsstraßenbahnwagen. Nach diesem Credo sollte es nur relativ wenige Typen geben, die modifiziert aber bei vielen Betrieben eingesetzt werden konnten. Wer mit beiden Bahnen in Dessau mitgefahren ist, weiß genau, auf welcher Seite der innerdeutschen Grenze die moderneren Trams gebaut wurden.

Die weltweit ersten Einheitsstraßenbahnen wurden um 1930 für Nordamerika entwickelt

Die weltweit ersten Einheitsstraßenbahnen wurden um 1930 für Nordamerika entwickelt, dort setzte man schon damals nur noch auf Drehgestellfahrzeuge. Amerika war vor 100 Jahren einmal das Straßenbahnland schlechthin. Namhafte Kraftfahrzeughersteller wie General Motors (GM) sorgten aber durch Aufkauf und provozierten Ruin für den Niedergang der meisten städtischen und Überlandnetze.

Die sogenannten PCC-Wagen gelangten durch Nachkriegslizenzen ab 1967 in großen Stückzahlen in Form der tschechischen Tatra-Wagen in die DDR. Bei einer Reihe der in Düsseldorf entwickelten Düwag-Wagen orientierte man sich aber auch an einzelnen Entwicklungsdetails der „PCC- Cars“.

Die Ähnlichkeit mit der amerikanischen Bahn ist unverkennbar.
Die Ähnlichkeit mit der amerikanischen Bahn ist unverkennbar.
(Foto: G. Waibl)

Seit 1951 wurden vom Düsseldorfer Waggonbau verschiedene Serien vierachsiger Großraumwagen hergestellt

Schon bald nach der Ankunft der Duisburger Wagen wurden Gotha- und Rekowagen aus dem Betrieb genommen. Die Dessauer Düwags waren sogenannte Anderthalbrichtungswagen, das heißt, sie hatten auch für die Rückwärtsfahrt am Fahrzeugheck einen einfachen Führerstand. Eine weitere Besonderheit war die zusätzliche Tür auf der linken Seite kurz vor dem Fahrzeugende. Sie sollte Notfällen dienen, wenn auf der regulären Seite nicht ausgestiegen werden kann und wurde nach 1999 bei anstehenden Hauptuntersuchungen teilweise ausgebaut. Ein Hilfsführerstand am Fahrzeugende gehört dagegen seit einigen Jahren zur Standardausrüstung jeder neu gebauten Straßenbahn.

Seit 1951 wurden vom Düsseldorfer Waggonbau verschiedene Serien vierachsiger Großraumwagen hergestellt, ab 1956 kamen sechs- und achtachsige Gelenkwagen hinzu. Damit wurden zahlreiche Straßenbahnbetriebe vor allem in Westdeutschland beliefert, einzelne Modelle aber auch in Lizenz nachgebaut. Die Straßenbahn in Duisburg beschaffte ab 1962 so eine größere Serie sechsachsiger Gelenkwagen, die 1967 teilweise in Achtachser umgebaut wurden. Diesem Los entstammen die Dessauer Fahrzeuge.

Am 6. November 1992 wurde der erste Wagen auf dem Betriebshof Innsbrucker Straße abgeladen

Am 6. November 1992 wurde der erste Wagen auf dem Betriebshof Innsbrucker Straße abgeladen, bis Jahresende folgten noch 13 weitere. Vier Triebwagen wurden 1997 an die Straßenbahn im schwedischen Norrköping weitergegeben, vier weitere ab 1999 für den weiteren Einsatz in Dessau modernisiert.

Mit Anlieferung der Niederflurwagen, über die die MZ am 4. Januar 2002 berichtet hatte, gingen die Einsätze im Liniendienst immer weiter zurück. Im Sommer 2002 wurden die unmodernisierten GT8 abgestellt. Heute ist nur noch je ein Wagen als Werkstattbahn und als Ersatzteilspender vorhanden. Triebwagen 003 war der am längsten im Linienverkehr eingesetzte (bis Juni 2017), seit 2019 gehört er zur IG Großraumwagen e.V. und ist in einem Dessauer Industriegebiet abgestellt. Zum Aufbau eines Museums soll er nach Duisburg zurückkehren.

Die Straßenbahnbetriebe in Jena, Gotha mit Thüringerwaldbahn, Görlitz und Schöneiche setzten nach der Wende auch auf gebrauchte Düwag-Fahrzeuge

Außer diesen drei genannten Fahrzeugen sind mittlerweile alle den Weg des alten Eisens gegangen. Bedauerlicherweise ist in Dessau kein Museumswagen dieses eigentlich sehr interessanten Typs vorhanden - bis jetzt nicht.

Die Straßenbahnbetriebe in Jena, Gotha mit Thüringerwaldbahn, Görlitz und Schöneiche setzten nach der Wende auch auf gebrauchte Düwag-Fahrzeuge, zum Teil aber nur als Einzelwagen. Eine andere Bauart waren in Brandenburg, Halberstadt, Halle und Nordhausen die Esslinger Kurzgelenk-Triebwagen GT4, von denen in Halberstadt sogar bis heute noch Fahrzeuge im Liniendienst fahren.