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Stillstand durch Corona Stillstand durch Corona: Was macht Puppenspielerin Kerstin Dathe wenn sie nicht im Anhaltischen Theater Dessau auftreten darf?

Von Mathias Schulze 16.01.2021, 13:00
In der Zeit vor der Corona-Pandemie begeisterte Kerstin Dathe ihre jungen und alten Zuschauer mit dem Puppenspiel.
In der Zeit vor der Corona-Pandemie begeisterte Kerstin Dathe ihre jungen und alten Zuschauer mit dem Puppenspiel. Dathe

Dessau-Roßlau - Die lange Nase des Pinocchios, Kerstin Dathe hätte sie gerade gerne geführt: „Ich will die Kinderaugen strahlen sehen“, sagt die 41-jährige Puppenspielerin am Anhaltischen Theater. Doch es kam anders. Ruft man die Künstlerin in diesen Tagen an, knackt und rauscht es ab und an in der Leitung, man scheint mit einem abgeschiedenen Ort verbunden zu sein. Dathe wohnt im Luftkurort Friedrichsbrunn bei Thale, mitten im Wald, mitten in einem alten Ferienhaus.

Das klingt in Corona-Zeiten nach einem Idyll. „Wir, mein Mann und ich, haben das Haus gekauft und bauen es Stück für Stück aus. Normalerweise bieten wir hier auch Ferienzimmer und -wohnungen an, hier kann man Yoga machen, tanzen, schreiben, kreativ sein, wir veranstalten Weiterbildungen und Kinderprojekttage“, so Dathe.

Das sogenannte „Baumhaus“ ist ein Seminarhaus und Begegnungsstätte mit Open Air-Bühne und Lagerfeuerromantik. Und es ist der Sitz des freien Ensembles „Theaterland-schafft“, mitten in der Abgeschiedenheit arbeiten dort Regisseure, Schauspieler, Theaterpädagogen, Musiker, Autoren oder Puppen- und Bühnenbauer.

Bis März 2021 bekommt sie dank eines Teilzeitspielvertrages am Anhaltischen Theater Dessau Kurzarbeitergeld

Dathe spricht schnell und engagiert. Bis März 2021 bekommt sie dank eines Teilzeitspielvertrages am Anhaltischen Theater Dessau Kurzarbeitergeld. Was kommt danach? Dathe ist plötzlich kurz angebunden: „Keine Ahnung!“ Und sofort ist sie bei ihrem Lieblingsthema: „Immer, wenn wir hier in Friedrichsbrunn was veranstalten, verschlägt mir die Dankbarkeit der Gäste die Sprache.“

Dathe kennt sich im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts aus, regelmäßig fährt sie mit ihren Inszenierungen auf Dorffeste, in Kitas, Grundschulen oder zu Kindergeburtstagen. Auch das kleine Scheinwerferlicht kann eine enorme Wirkung haben: „Neulich sprach mich jemand in Quedlinburg an: ,Ey, du warst doch der dicke Pinguin!’. Ich habe vor mehr als vier Jahren ein solches Stück in der Grundschule gespielt“, erinnert sie sich.

Es gibt Erfahrungen, die prägen ein Leben lang. Die Puppenspielerin wird energisch, ihre Energie lässt einen beim Zuhören nur noch bestätigend nicken: „Die Kunst kämpft, auch unabhängig von Corona, immer um Relevanz. Wenn wir als Theatermacher nur noch auf elitären Bühnen stehen wollen, verlieren wir den Kontakt zum Leben, zu uns selbst und zu unserer Basis.“

„Wir müssen wissen, warum es uns braucht. Sonst sterben wir und die Kunst bald aus“

Eins müsse allen Kulturschaffenden, ob nun in städtischen Einrichtungen oder in der freien Szene beheimatet, klar sein: „Wir müssen wissen, warum es uns braucht. Sonst sterben wir und die Kunst bald aus. Ich sage immer, Leute geht raus, kümmert euch um die Menschen vor Ort! Auch mit wenig Materialien kann man Magie erschaffen.“ Magie und Entrückung lasse Kunst auch für diejenigen, die sonst nicht regelmäßig ins Theater gehen, alle Weltbilder für ein paar Minuten aus dem Rahmen fallen.

Dathe, die auch für städtische Bühnen Puppen baut und Bühnenbilder entwirft, engagiert sich beim Verein „LanZe“, dem Landeszentrum für freie Theater in Sachsen-Anhalt. Dort versucht sie Überzeugungsarbeit zu leisten: „Wir versuchen den Akteuren zu vermitteln, dass sie hier bleiben sollen, Sachsen-Anhalt ist für viele Freie immer noch eine Durchgangsstation, es gibt Wenige, die auch den ländlichen Raum bespielen.“ Also muss Lobbyarbeit betrieben werden, die Probleme sind vielfältig.

Wie verwaltet man sich als Künstler selbst?

Sachsen-Anhalt hat keine künstlerische Ausbildungsstätte. Und es gibt bürokratische Hürden: Wie verwaltet man sich als Künstler selbst? Wie schreibt man einen Antrag, ohne sich vom Paragrafendickicht entmutigen zu lassen? Wie erstellt man einen Kostenfinanzplan?

„Diese Aufklärungsarbeit ist die wichtigste, daran scheitern viele hochbegabte Künstler“, so Dathe. Es brauche mehr Kommunikation. Auf der einen Seite müssten sich die Künstler stärker kulturpolitisch engagieren, auf der anderen Seite bräuchten sie aber auch eine „langfristige Planungsperspektive, nicht nur eine kurzfristige Projektförderung“.

Vieles stecke noch in den Kinderschuhen, einiges sei aber schon geschafft. Dathe versichert, dass Sachsen-Anhalt für freie Künstler ein „Goldgräberland“ ist: „Der Bedarf ist da, die Konkurrenz beileibe nicht so groß wie in den Metropolen, man findet ein Publikum. Und jetzt müssen wir für Strukturen sorgen.“ (mz)