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Stiefel für den Indianer Mitic

Von Ilka Hillger 06.12.2004, 17:13

Dessau/MZ. - Doch Theodor Fritsch machte nie einen Unterschied. Ob nun die feinen Schuhe aus dem "Exquisit" oder die einfacheren von der HO: Schuh blieb Schuh. War er kaputt, dann war Theodor Fritsch dafür da, um ihn zu reparieren. Sein Handwerksbetrieb in der Marktstraße 5 ist eine Dessauer Institution. Deshalb wurde Theodor Fritsch jetzt von der Handwerkskammer Halle als Altmeister ausgezeichnet. Den Altmeisterbrief bekommen er wie auch der Augenoptikermeister Karl-Heinrich Böhm für ihre ununterbrochene selbständige Tätigkeit seit über 30 Jahren. Als Goldmeister wurde bei einer Festveranstaltung in Halle Schuhmachermeister Rudolf Meerheim geehrt.

Theodor Fritsch konnte an diesem Tag nicht zum Festakt fahren. Nicht mehr so gesund, wie er es sich wünschen würde, blieb er lieber daheim und erinnert sich dort mit Ehefrau Doris und Sohn Stefan an ein Berufsleben, das stets im Zeichen des Schuhs stand. 20 Jahre war Fritsch alt, als er seinen Meisterbrief in den Händen hielt. 1956 war das und an den Füßen trug er sein Meisterstück. "Wir sollten für uns selbst Schuhe anfertigen", erzählt Fritsch. Für ihn war das kein Problem, der Vater hatte ihm alles, was der junge Fritsch wissen musste, mit auf den Weg gegeben. Nun war Theodor so gut, dass er den Leisten für den eigenen Schuh aus einem Rohling fräste, Leder zuschnitt, nähte und nach getaner Arbeit auch noch den anderen half. "Der Schuh passte perfekt", sagt Theodor Fritsch. Nach seinem Meisterstück hörte er diesen Satz über Jahrzehnte von der eigenen Familie, die er beschuhte, und von der Kundschaft, die bald eine Prominenz erreichte, die sich der junge Meister, der 1966 das Geschäft des Vaters übernahm, nie hätte träumen lassen.

Irgendwann war er plötzlich da, der Kontakt zum Dessauer Landestheater. Aus ersten Reparaturen von Bühnen- und Tanzschuhen wurden schnell ganze Schuhausstattungen für Inszenierungen. "Aufgrund der guten Ausführung sprach sich das schnell herum", sagt Fritsch. Das Land war klein, und Spezialisten für ausgefallenes Schuhwerk, wie es Bühne und Fernsehen brauchten, waren rar. Da brauchte es nicht lange, bis die Fernsehleute aus Adlershof an die Geschäftstür in der Marktstraße 5 klopften. Mitarbeiter vom Fernsehfunk und von den Defa-Studios reisten nach Dessau. Die Damen des Friedrichstadtpalastes hielten ihre Beine dem Dessauer Schuhmachermeister entgegen, damit er Maß nahm. Das Erich-Weinert-Ensemble fand in seinen Schuhen auf der Bühne festen Stand. Theodor Fritsch nennt Opernhäuser, Tanzgruppen, den "Kessel Buntes" und könnte die Liste der Kunden beliebig fortsetzten.

Elf Leute gehörten damals zur Firma, die sich nicht scheute - und wohl auch nicht scheuen durfte - Großaufträge wie beispielsweise 600 Paar weiße Stiefel für die Spielmannszüge bei der Eröffnung des Palastes der Republik anzunehmen. Theodor Fritsch' Werkstatt war ein wichtiges Rädchen in der DDR-Unterhaltungsindustrie geworden. Das hatte Vorteile: "Ich bekam jegliche Unterstützung, sogar Material aus Frankreich, wenn es sein musste", erzählt der 68-Jährige. Und er lernte Stars und Sternchen kennen. "Im Geschäft hingen so viele Autogramme, dass man die Tapete kaum gesehen hat." Beispielsweise eines von Gojko Mitic, dem er Indianerstiefel anpasste.

Die große Belegschaft von einst ist inzwischen ebenso Geschichte wie die Riesenaufträge. Heute schmeißt Sohn Stefan den Laden, auch er ist längst Meister in seinem Beruf. "Er ist ein würdiger Vertreter in allen Dingen", lobt der Vater. "Heute stelle ich mich bei der Arbeit hinter ihn und sage, das kannst du besser als ich." Die vierte Generation Fritsch sitzt fest im Sattel und vor der Nähmaschine. Stefan Fritsch macht es wie Vater, Großvater und Urgroßvater, der noch der Hofschuhmacher war: Der 32-Jährige fertigt Schuhe nach Maß, repariert so gut, dass die Kundschaft nicht nur aus Dessau kommt, und verkauft Schuhe. Und selbst wenn der Vater nicht mehr zu Leder und Leisten greift, den Blick nach unten hat er sich bewahrt. "Das ist wirklich Gewohnheit, den Leuten auf die Schuhe zu gucken", lacht Theodor Fritsch. Gut möglich, dass dann und wann mal einer dabei ist, der den Stempel seiner Werkstatt trägt.