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Seenot bei der Vorauswahl

Von Steffen Brachert 22.07.2005, 17:46

Dessau/MZ. - Einst saß in dem blauen Mehrgeschosser in der Elisabethstraße das Dessauer Arbeitsamt, jetzt hat die Deutsche Angestellten Akademie (DAA) die untere Etage bezogen. Die Aufgabe ist gleich geblieben: Hoffnung wird vermittelt. Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. "Wer hier besteht", nickt Maren Beneke-Bädelt, "der hat gute Chancen."

Beneke-Bädelt und Gudrun Schatinske leiten das Assessment Center, das Fachkräfte auswählt. Vor allem für Sitel, das Call-Center, das längst ein anspruchsvolles Contact-Center ist für Premium-Kunden. Aber auch für Burda, das in der Wagner-Passage sitzt und 45 Mitarbeiter zählt. Zu Sitel ist das kein Vergleich.

Sitel, ein US-Unternehmen mit der Firmenzentrale in Omaha, hat in Dessau eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Ohne zu übertreiben, kann man es eine Erfolgsgeschichte nennen. Vor zweieinhalb Jahren begann die Firma mit 30 Leuten. Anfang Juli wurde der 1 000. Mitarbeiter eingestellt. Diese Woche übergab Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Horst Rehberger einen Fördermittelbescheid für weitere 114 Mitarbeiter. Auf Wunsch von Sitel blieb die Förderhöhe ungenannt. Sitel zählt damit zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Nachfrage nach Mitarbeitern ist groß - und wird immer schwieriger zu erfüllen.

Wer zu Sitel will, muss nicht in die Unruhstraße oder an den neuen Standort in der Kavalierstraße zum Vorstellungsgespräch. "Das können die gar nicht bewältigen", sagt Jana Geißler-Möbius, Chefin der DAA in Dessau. Die DAA ist seit 1990 am Markt, hat alle Höhen und Tiefen mitgemacht, die gerade die beruflichen Weiterbilder getroffen haben. Seit 2003 arbeitet das Unternehmen mit seinen zehn Mitarbeitern in der Elisabethstraße, kümmert sich um Weiterbildung, um überbetriebliche Ausbildungen. Anfang September 2004 gab es einen Anruf der Agentur für Arbeit. Drei Tage später startete das erste Assessment Center. "Das ging alles ganz schön schnell." Es hat sich bewährt.

Für viele ist ein Assessment Center noch etwas Unbekanntes. Selbst die Agentur für Arbeit hatte auf den ersten Einladungen immer von einem Accessment Center geschrieben. "Ich habe ein halbes Jahr dafür gekämpft, dass das richtig gemacht wird", lacht Beneke-Bädelt. Wörtlich übersetzt, ist das Assessment Center ein Einschätzungs- und Beurteilungszentrum: Zwei Tage lang werden 16 Bewerber beobachtet, müssen Fragebögen ausfüllen, Tests machen, an Rollenspielen teilnehmen. "Wir tun hier nichts Geheimnisvolles", erklärt Beneke-Bädelt. "Wir versuchen aber herauszufinden, ob der Bewerber zu einem Unternehmen wie Sitel oder Burda passt."

Die Bewerber wissen aber oft zu wenig, was eigentlich ansteht. "Die bekommen eine Einladung und sitzen dann mehr oder weniger motiviert vor mir", sagt Coach Beneke-Bädelt. "Die erste halbe Stunde brauche ich oft, um allen die Chancen klar zu machen." Die ist meist einmalig: Wer sich behauptet, wer sich durchsetzt, dem winkt nicht mehr und nicht weniger als ein fester Arbeitsplatz. Denn Beneke-Bädelts Empfehlungen haben Gewicht. Die Frau aus Köthen weiß längst, wie Sitel tickt. "Es ist natürlich immer ein Stück subjektiv." Doch achtzig Prozent ihrer Empfehlungen werden eingestellt.

Für Gabriele Grossecker, Geschäftsführerin Sitel Deutschland, steht fest: "Die Assessment Center zur Vorauswahl neuer potenzieller Mitarbeiter tragen maßgeblich dazu bei, die erforderliche hohe Qualität unserer Mitarbeiter sicher zu stellen." Agentur für Arbeit und die DAA würden Sitel seit drei Jahren mit großem Erfolg unterstützen.

Sitel hat in den nur drei Jahren in Dessau viel dafür getan, das Image der Call-Center zu verbessern. "Der negative Touch ist weg", sagt Geißler-Möbius. "Die schwarzen Schafe in dieser Branche sind weniger geworden", schätzt Anja Huth, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit, ein, die sich gemeinsam mit der DAA als fester Partner von Sitel und Burda etabliert hat. Die Folge ist: Manche, die es sich früher überhaupt nicht vorstellen konnten, interessieren sich heute für einen Job im Call-Center. Natürlich auch mangels Alternative. Erstaunliche 3 000 Bewerber aus Dessau, Köthen und Anhalt-Zerbst haben das Assessment Center schon mitgemacht. Gut 30 Prozent überstanden die Tests, wurden empfohlen.

Nur vordergründig geht es darum, telefonieren zu können. Sitel und Burda geben das Anforderungsprofil vor. "Wir prüfen Teamfähigkeit, Durchsetzungsvermögen. Wir schauen, wie sich der Bewerber vor der Gruppe präsentiert, was in Stresssituationen passiert, wie mit Kunden umgegangen wird", erzählt Beneke-Bädelt. "Ein Verkaufsgespräch führen, das können viele nicht." Lernen kann man das nur bedingt.

"Selbst wenn man nicht genommen wird", ist Beneke-Bädelt aber überzeugt, "nimmt man aus diesen zwei Tagen des Assessment Centers etwas für sich mit." Zum Beispiel, was man in Seenot tut. Man kann ja nie genug wissen.