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Schwierige Jobsuche Schwierige Jobsuche: Die Frau, die früher ein Mann war

Von Heidi Thiemann 12.07.2016, 14:12
Jenny B. hofft, dass es doch noch einen Arbeitgeber gibt, der ihre Qualifikation zu schätzen weiß.
Jenny B. hofft, dass es doch noch einen Arbeitgeber gibt, der ihre Qualifikation zu schätzen weiß. Lutz Sebastian

Dessau - Wie viele Bewerbungen sie geschrieben hat? Jenny B. kann es nicht genau sagen. Viele Dutzend. Aber kein einziger Arbeitgeber war bislang bereit, der Frau Arbeit zu geben.

„Oft kommt überhaupt keine Reaktion und wenn, dann eine Ablehnung“, erzählt sie. Dabei ist der sehnlichste Wunsch der 44-Jährigen, nicht mehr von Hartz IV leben zu müssen. Um sich zu beweisen, um ihrer neunjährigen Tochter etwas bieten zu können. Verreisen zum Beispiel. „Jetzt in den Ferien kann sie leider nur in den Hort gehen.“ Für größere Sprünge fehlt das Geld.

Nicht nur Steine, sondern Felsen

Dass es ihre Qualifikation ist, die ihr keinen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt beschert, glaubt Jenny B. nicht. Zu DDR-Zeiten hat sie Lagerfacharbeiter gelernt, nach der Wende zwei Umschulungen durchlaufen zur Büroinformationselektronikerin und zur Gerätesystemelektronikerin.

Zuletzt hatte sie fünf Jahre in einem Elektronikfachmarkt im Kundendienst gearbeitet. Sie denkt, eine Phobie ihres Chefs hat dort zu ihrem Arbeitsplatzverlust geführt und führt auch jetzt dazu, dass ihr keine Chance gegeben wird. Denn Jenny B. war nicht immer eine Frau. Bis 2013 war sie Jens. Dann hat sie sich geoutet. Jenny B. ist transsexuell.

Das wahre Ich gefunden

„Ich habe den Weg zu meinem wahren Ich gefunden“, sagt sie, „nach einer unglaublich harten und langwierigen Zeit.“ Bereut sie, sich geoutet zu haben? „Nein, keinen einzigen Tag. Auch wenn ich noch immer nicht am Ziel bin.“

Große Angst hatte sie davor, wie die Menschen neben ihr reagieren. Sie glaubte, dass sie Repressalien erdulden müsste. Doch das, atmet sie tief durch, ist nicht der Fall. „Der ein oder andere schaut zwar doch gelegentlich etwas beirrt, aber damit kann und muss ich leben.“

Denn Jenny B., dezent geschminkt, das Haar fällt leicht auf die Schulter, sticht mit ihrer Größe und Statur aus der Masse hervor. Doch fast alle Freunde, Bekannten und vor allem die Familie hätten kein Problem damit, dass Jens nun Jenny ist.

Aber Behörden, Ämter und vor allem Arbeitgeber, erklärt sie, „legen mir immer wieder Steine in den Weg. Manchmal sind das auch Felsen“.

Nach dem Outing kamen die Probleme

Nach ihrem Outing habe ihr Arbeitgeber plötzlich alles, was sie gemacht hatte und vorher ganz normal war, hinterfragt. Nach einer Bewerbung hat sie hinter vorgehaltener Hand erfahren, dass man sie nicht vermitteln könne, aus Angst, Kunden könnten ihre Aufträge zurückziehen.

An anderer Stelle riet man ihr, doch gleich in ein anderes Bundesland zu ziehen, weil hier in Dessau für sie nichts zu finden ist.

„Eine Aussage, die ich weder glauben noch denken mag. Und die mich ehrlich gesagt auch traurig stimmt“, erklärt die 44-Jährige. Ist es denn noch immer so wie zur Zeit von Quellendorfs Bürgermeister/in, fragt sie, der nach seinem Outing aus dem Amt und seinem Leben ausgestoßen wurde?

„Hat man noch immer nicht begriffen, dass wir ganz normale Menschen sind? Dass wir weder geisteskrank noch dumm sind?“

Hoher Wiedererkennungswert

In Leipzig hat sich Jenny B. einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. In der Gruppe sind beispielsweise eine Architektin, eine Physikprofessorin und auch andere Akademikerinnen.

Gestandene Leute, die sich erst sehr spät zu ihrem wahren Ich bekannt haben. Sie weiß, dass sie nicht die Einzige ist, die mit sozialer und/oder beruflicher Ausgrenzung klar kommen muss.

„Fast 60 Prozent sind dauerhaft arbeitslos. In Sachsen-Anhalt sogar noch mehr“, sagt die Dessauerin. Und auch, dass eben viele Probleme dazu führen, dass unter Transsexuellen die Selbstmordrate so hoch wie nirgends anders ist.

Doch von solchen Gedanken ist sie weit entfernt. Vielmehr ist sie optimistisch, dass es in Dessau und Umgebung doch einen Arbeitgeber gibt, der sie und ihre Qualifikation zu schätzen weiß. „Mein Wiedererkennungswert ist hoch“, sagt sie selbstbewusst. „Deshalb bin doch gerade ich darauf angewiesen, meine Arbeit ordentlich zu machen und mir nichts nachsagen zu lassen.“

Arbeitgeber, findet sie, sollten das doch mal von der positiven Seite sehen. Probearbeiten, erstmal ein befristeter Vertrag, um sie zu testen, sagt Jenny B., das wäre schon ein Erfolg. Das könnte Türen öffnen.

„Denn eines will ich nicht“, erklärt die 44-Jährige, „in der sozialen Hängematte schmarotzen. Ich will einfach nur raus aus diesem Teufelskreis.“ (mz)