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Rodleben bald ohne Pharma

Von Steffen Brachert 29.05.2007, 17:13

Dessau/MZ. - Anhalts idyllischste Pharmafabrik sitzt in einem größerem Einfamilienhaus ohne jegliches Pharmaflair. Ein Vitrine voller Medikamente ist fast das einzige, was auf Rodleben Pharma hinweist. Nicht mehr lange allerdings. Bald sind auch diese Medikamente Geschichte, Pharma-Geschichte. "Am 30. Juni", sagt Firmenchef Brüsehaber, "ist hier endgültig Schluss."

1992 war es, als UCB, eines der größten Unternehmen Belgiens, die Pharmaabteilung des Hydrierwerkes Rodleben rettete. Anfangs als Joint Venture mit einer 51-prozentigen Mehrheit. 2001 aber übernahm UCB Rodleben Pharma komplett. Das Hauptinteresse der Belgier galt dem einzigen Rodlebener Originalpräparat: Rocornal, ein Mittel, das die Durchblutung der Herzkranzgefäße verbessert.

Trapidil heißt der eingesetzte Wirkstoff, den UCB übernahm und bis heute produziert. Zuletzt nur noch auf Vorrat. 2006 bekamen die Kunden Bescheid, dass die Herstellung in Rodleben ausläuft. Bis 28. Februar 2008 arbeiten die Maschinen noch. Der bis dahin produzierte Wirkstoff reicht bis 2014. Für die Kunden bleibt genug Zeit, sich nach Ersatz umzuschauen. Die sitzen sogar in Japan. Mochida Pharmaceutical ist einer der treuesten Rodlebener Kunden. Seit 1979 wird dorthin geliefert.

UCB wurde im Jahr 1928 als "Union Chimique Belge" mit Sitz in Brüssel gegründet. Als ursprünglich chemisches Unternehmen war die UCB lange Zeit in drei verschiedenen Geschäftsbereichen tätig: Chemie, Kunststofffilme und Pharma. Seit 2004 ist UCB ein rein pharmazeutisches Unternehmen.

Durch die Integration des Biotechnologie-Unternehmens Celltech entstand im Januar 2005 das fünftgrößte Biopharma-Unternehmen der Welt. Die traditionellen Kernforschungsgebiete der UCB sind die Bereiche Allergie und Zentrales Nervensystem. Im Unternehmen sind 8 300 Mitarbeiter beschäftigt. 2006 erzielte UCB einen Umsatz von 2,523 Milliarden Euro.

Rodleben Pharma fällt da kaum auf. Ludwig Brüsehaber, Chef der Firma, bemüht einen ehemaligen sachsen-anhaltischen Wirtschaftsminister, um die Firma im Konzern einzuordnen. Ihr Ende ist unweigerlich, auch wenn es schwer verständlich scheint: Rodleben hat immer schwarze Zahlen geschrieben. 1995 lagen der Umsatz bei 13 Millionen Euro und der Gewinn bei fast acht Millionen Euro. Es war das beste Jahr der Firmengeschichte. Doch selbst 2006 setzt Rodleben Pharma noch sechs Millionen Euro um - und schreibt schwarze Zahlen.

Der Anfang vom Ende begann 2001. Brüsehaber kann ihn genau bestimmen. Die Firma war damals gut am Markt etabliert. Bei Psychopharmaka hatte Rodleben einen Marktanteil von zwanzig Prozent. Im Osten. "Uns war klar, dass wir in den Westen mussten", erinnerte sich Brüsehaber. Der Außendienst West wurde aufgestockt. Der Außendienst Ost aufgebaut. Über 50 Mitarbeiter zählte Rodleben Pharma. Doch der Aufschwung im Westen blieb aus. Schlimmer noch. Im Osten gingen die Marktanteile zurück. Die UCB, die sich eh auf die Forschung konzentrieren wollte, strukturierte sich um und zeigte mit den Rodlebenern wenig Geduld. Irgendwann fiel eine Grundsatzentscheidung: 2003 wurde der Außendienst ganz eingestellt.

"Wer aber keinen Außendienst hat", sagt Brüsehaber, "dessen Umsätze gehen zurück." Das Ende war absehbar. "Wenn ein großes Schiff auf voller Fahrt ist und plötzlich der Motor abgeschaltet wird, kann das Schiff noch immer ein ganzes Stück Weg zurücklegen." Irgendwann aber reicht die Kraft nicht mehr. Bei Rodleben Pharma ist es am 30. Juni soweit. 19 Mitarbeiter zählt die Firma noch. Die ersten Kündigungen sind raus.

Brüsehaber, seit ein paar Monaten nur noch halbtags tätig, beschäftigt diese Entwicklung. Seit 2005 ist der einstige Betriebsdirektor des Hydrierwerkes Rodleben im Rentenalter, blieb aber an Bord das Tankers. "Ich wollte, dass die Mannschaft alle Rechte bekommt, die ihnen zustehen." Das ist geschafft. Ein Sozialplan liegt vor. Brüsehaber geht "mit Wehmut, mit Herzdrücken, aber auch mit dem Gefühl, viel richtig gemacht, für die Kollegen das Beste erkämpft zu haben". Was jetzt passiere, sei höhere, nicht beeinflussbare Gewalt.

Aufgeben will Brüsehaber aber nicht. Mit einigen Kollegen war der Chef schon bei den Nachbarn vorstellig. Im Impfstoffwerk Dessau-Tornau. Bei Merz. Zwei Pharma-Nachbarn. "Die Qualifikation haben meine Leute." Vielleicht aber geht es auch am Standort Rodleben weiter. Als Hersteller von Pharma-Wirkstoffen. Brüsehaber deutet Gespräche an, ohne konkret zu werden. An den Ruhestand denkt der Unternehmer nicht. "Ich will den 100. Jahrestag meiner Einschulung feiern. Was soll ich denn die nächsten 40 Jahre machen?"