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Porträt Porträt: Kein Verzicht auf frischen Mehlduft

Von Helmut Dawal 04.12.2003, 16:49

Weißandt-Gölzau/MZ. - In der Gölzauer Hauptstraße 44 befindet sich die Mühle Göricke GbR, wie sich der kleine Betrieb seit dem Sommer dieses Jahres nennt. Müllermeister Martin Göricke kam gern der Bitte nach, das Weihnachtstürchen zu seinem kleinen Reich zu öffnen. Der 69-Jährige hat sein Leben lang hier gearbeitet, kennt seine Mühle wie die eigene Westentasche. Seit über einem Jahr steht ihm sein Schwiegersohn Burkhard Bresch zur Seite. Beide halten die Tradition des Familienbetriebes aufrecht, zugleich aber auch die Tradition eines Handwerkes, das hierzulande rar geworden ist. Als Göricke Mitte der 50er Jahre seine berufliche Laufbahn begann, gab es im Landkreis Köthen 13 Mühlen. "Jetzt sind es noch zwei", erzählt er. Was aus seiner Sicht mehrere Gründe hat. Viele Mühlen seien altershalber aufgegeben worden, erheblich zurück gegangen sei zudem die Zahl der kleinen Bäckereien in den Städten und Dörfern. "Früher gab es über 150 Backbetriebe, jetzt kann man sie an beiden Händen zusammen zählen." Nicht zuletzt hätten die kleinen Müller unter den industriell betriebenen Mühlen zu leiden.

Wann genau der Familienbetrieb gegründet wurde, kann Martin Göricke nicht sagen. Unterlagen darüber gibt es nicht mehr. Eine Jahreszahl nennt er aber. 1885 baute sein Urgroßvater Friedrich Gehricke das Haus, neben dem sich heute die Mühle befindet. Damals betrieb der Urgroßvater aber bereits seit längerer Zeit zwei Windmühlen, die am Ortsrand in Richtung Görzig standen.

Beide Windmühlen gibt es nicht mehr. Die eine wurde 1901 abgerissen. Die andere, deren Flügel sich bis Mitte der 50er Jahre drehten, verschwand in den 60ern, nachdem durch Blitzschlag erhebliche Schäden entstanden waren und Vandalismus ein Übriges getan hatte. Aus heutiger Sicht bedauert Martin Göricke, dass die Windmühle nicht erhalten werden konnte. Er selbst hätte damals das Geld für die Erhaltung nicht aufbringen können.

1906 übernahm Görickes Großvater Wilhelm Lange die Windmühle. Er baute 1921 in der Scheune auf dem Hof auch eine elektrisch betriebene Mühle. "Er folgte damit den Zwängen der Zeit. Denn die Konkurrenz durch die großen Mühlen nahm zu, und mit der Windmühle war er ja immer auf den Wind angewiesen", erklärt Martin Göricke. Wilhelm Lange übertrug den Betrieb später an seinen Schwiegersohn Karl Göricke. "Das war mein Vater, und er war es dann, der im Jahr 1934 die Mühle hier an unserem Wohnhaus anbauen ließ", berichtet der Müllermeister, der seit 1953 hier arbeitet, "ununterbrochen", wie er betont.

Fast sieben Jahrzehnte versieht die Mühle nun schon ihren Dienst. Ihre imposante Konstruktion erstreckt sich vom Kellerboden bis zum Dach über vier Stockwerke. Und die Maschinen sind trotz ihres Alters erstaunlich robust, denn technisch verändert hat sich seit der Inbetriebnahme kaum etwas. Nur für die Getreideannahme ließ Göricke eine technische Veränderung vornehmen. Sie erfolgt nicht mehr in Säcken, sondern über eine so genannte lose Annahmestelle, in die das Korn hineingeschüttet wird.

Hin und wieder schauen sich Kindergartengruppen oder Schulklassen in der Mühle um. Und sie staunen dann, wie das Getreide über einen Elevator nach oben transportiert wird, wo es zunächst in ein Reinigungsgerät gelangt, um später in den beiden Walzenstühlen zu Mehl gemahlen zu werden. 80 Prozent der Körner, erzählt der Müllermeister dann den Kindern, werden zu Mehl, der Rest wird Kleie für Futterzwecke. Mit der Wende, erinnert sich Göricke, ging es mit der Mühle zeitweilig bergab. "Das war eine Zeit, da haben die Leute selbst das Brot aus dem Westen mitgebracht, was die Bäcker genauso zu spüren bekamen wie wir."

Doch an ein Aufgeben hatte Martin Göricke nie gedacht. "Die Mühle ist mein Leben", sagt er stolz. Und das gab ihm wohl die Kraft, weiter zu machen. Allerdings hätte er mit der Müllerei allein sein Leben nicht bestreiten können. Als zweites wirtschaftliches Standbein kam deshalb der Futtermittelhandel hinzu. Und wie früher wird natürlich auch noch heute Futtergetreide geschrotet und gequetscht.

Verarbeitet wird in der Weißandter Mühle ausschließlich Roggen. "Das Getreide kommt von hier, ich sehe es jedes Jahr auf den Feldern wachsen." Früher bezog Göricke den Roggen von den LPG, seit Anfang der 90er Jahre ist der Libehnaer Landwirtschaftsbetrieb Zschoche der Lieferant. "Die Zusammenarbeit klappt gut, er liefert sehr sauberes Getreide", lobt der Müllermeister. Rund 100 Tonnen Roggen verarbeitet Göricke im Jahr. Mit diesem Mehl werden die Bäckereien Schernekau, Schneider und Poßner in Köthen, Renneberg in Glauzig, Thielicke in Gröbzig und Elze in Hinsdorf beliefert.

Mit 100 Tonnen liegt die Mühle allerdings weit unter ihrem eigentlichen Leistungsvermögen, denn 2,5 Tonnen pro Tag könnte die Anlage schaffen. "In den besten Zeiten bin ich auf rund 400 Tonnen im Jahr gekommen. Davon können wir heute nur noch träumen", blickt Martin Göricke zurück. Der noch lange nicht daran denkt, sich zur Ruhe zu setzen. Auf den Duft von frischem Mehl mag Göricke wohl nicht verzichten.