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Dramatische Wende Oury Jalloh: Tod durch Fremdverschulden wahrscheinlich

Von Jan Schumann 16.11.2017, 19:47
Ein mit Sensoren, Schweinehaut und Fett versehener Dummy ist am 18.08.2016 in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde nach einer Brandanalyse im Todesermittlungsverfahren des damals in Deutschland lebenden Sierra Leoner, Oury Jalloh, befestigt.
Ein mit Sensoren, Schweinehaut und Fett versehener Dummy ist am 18.08.2016 in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde nach einer Brandanalyse im Todesermittlungsverfahren des damals in Deutschland lebenden Sierra Leoner, Oury Jalloh, befestigt. dpa-Zentralbild

Halle (Saale) - Im Todesfall Oury Jalloh gibt es neue Zweifel daran, dass der Asylbewerber 2005 selbst das tödliche Feuer in seiner Dessauer Polizeizelle gelegt hat. 

Stattdessen halten mehrere Sachverständige einen Tod aus Fremdverschulden für wahrscheinlicher. Das geht laut ARD-Magazin „Monitor“ aus Ermittlungsakten hervor. 

Oury Jalloh: Staatsanwalt aus Dessau nennt verdächtige Polizisten

Demnach hätte nicht der Mann aus Sierra Leone, sondern ein unbekannter Dritter Feuer in der Zelle gelegt - möglicherweise ein Polizist. Zudem hat der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann offenbar vor einigen Monaten konkrete Verdächtige in den Reihen der Polizei benannt. 

Die Staatsanwaltschaft Halle, seit Sommer für die Ermittlungen im Fall zuständig, hatte die Akten allerdings anders bewertet und die Mordermittlungen im Oktober eingestellt.

Oberstaatsanwältin Heike Geyer verteidigt dies gegenüber dieser Zeitung: Die nun öffentlich gewordenen Einschätzungen seien nicht neu, sondern intern aktenkundig gewesen. Nach Bewertung aller Akten sei „die Staatsanwaltschaft Halle zu einem anderen Ergebnis gekommen“ als die Ermittler in Dessau, so Geyer. „Wir sehen keinen Anfangsverdacht.“ Die Staatsanwaltschaft Halle gewichtet diese Gutachten also nur anders.

Oury Jalloh: Knackpunkt ist Gutachten der Rechtsmedizin

Damit wollen sich die Anwälte der Familie Jalloh nicht abfinden. Geyer bestätigte dieser Zeitung, die Anwälte hätten Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt, „so dass nunmehr die Generalstaatsanwaltschaft zu prüfen hat, welche Einschätzung zutreffend ist“. Entscheidend für die halleschen Ermittler ist das Gutachten der Rechtsmedizin.

Es ging von Anfang an davon aus, dass Jalloh bei Brandausbruch in der Zelle gelebt hat. Darauf stützte sich auch die Einstellung des Verfahrens. Die neuen Gutachten nach Brandversuchen kommen im Widerspruch dazu zum Schluss, dass Jalloh bei Ausbruch des Feuers nicht mehr gelebt hat oder zumindest nicht handlungsfähig war.

Auch der Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann hatte lange die These vertreten, Jalloh habe sich selbst entzündet. Ein Umdenken bewirkte aber offenbar ein Brandversuch in Sachsen 2016, dessen Ergebnisse Monate unter Verschluss geblieben waren. Laut „Monitor“ hat Bittmann im April 2017 schriftlich fixiert, er gehe davon aus, dass Jalloh den Brand nicht selbst legte - und wahrscheinlich Brandbeschleuniger eingesetzt wurde.

Fall Oury Jalloh sorgt bundesweit für heftige Kontroversen

Der Fall Jalloh sorgt seit zwölf Jahren für Kontroversen. Der 36-Jährige war an Armen und Beinen gefesselt gewesen, als er in Dessau auf einer Matratze verbrannte. Auch zwei Gerichtsprozesse konnten nicht klären, wie das Feuer ausgebrochen war.

Oury Jalloh: Selbstentzündung oder Fremdeinwirkung?

Angesichts der neuen Erkenntnisse sprach Henriette Quade, Innenexpertin der Linken im Landtag, von einer „Zäsur“. Erstmals sei von Seiten der Justiz der Mord-Verdacht bestätigt worden. Sie kritisierte, es sei nicht nachzuvollziehen, dass zwei Staatsanwaltschaften bei gleicher Aktenlage zu so unterschiedlichen Bewertungen kämen.

Sie kritisiert zudem: Erst vergangenen Freitag wurden Oberstaatsanwältin Geyer und Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad im Rechtsausschuss des Landtags zum Fall Jalloh befragt. Quade bezichtigte die Ermittler nun, die Abgeordneten nicht korrekt informiert zu haben.

„Dass die Gutachter mehrheitlich zu der Auffassung gekommen sind, dass der Tod Oury Jallohs durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher ist als die Selbstentzündung, ergab sich aus den Darstellungen nicht.“

Das sehen nicht alle Abgeordneten so. Sebastian Striegel (Grüne) sagte, es sei klar geworden, dass die Ermittler beide Varianten für möglich hielten. Die Linke fordert eine unabhängige Untersuchungskommission.

Oury Jalloh: Drohen Polizisten Konsequenzen?

Indes ist klar: Dass Dessauer Polizisten konkret in Verdacht gerieten, war Ursache dafür, dass die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Dessau abgezogen wurden. Das bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft. Unklar ist, ob den Polizisten Konsequenzen drohen.

Das Innenministerium kenne den Fall nur aus der Befragung im Rechtsausschuss, sagte ein Sprecher der MZ. „Ein Schriftstück“ liege dem Ministerium „weder im Original noch in Kopie vor“. Weitere Ermittlungen seien Aufgabe der Staatsanwaltschaft. (mz)