Neuerscheinung Neuerscheinung: Fakten der Vergangenheit und eine familiäre Erblast
Dessau/MZ. - Im VEB Munawerk Raden kommt es zu einem folgenschweren Unfall: Eine Explosion zerfetzt zwei Menschen, ein dritter kommt mit einem Knalltrauma davon und wird ins Eichenauer Bezirkskrankenhaus gebracht.
Der VEB Munawerk Raden ist der VEB Chemiewerk Kapen (1935-1945 Heeresmunitionsanstalt Kapen), Eichenau ist Dessau. In der Figur des Schriftstellers Pippig ist in vollen Zügen der Dessauer Schriftsteller Joachim Specht zu erkennen, der in seinem neuesten Buch - "Knalltrauma" - einführend vermerkt: "Der Handlungsablauf der Geschichte ist frei erfunden. Übereinstimmende Namen mit noch lebenden Personen sind zufälliger Natur. Sollte sich jedoch der eine oder andere Leser im Text wieder erkennen, so lag das in der Absicht des Autors."
"Knalltrauma" ist ein Roman nach Tatsachen. Fakt ist, dass die von der DDR an ihrer Grenze zur BRD eingesetzten Selbstschussanlagen SM-70 in Kapen entwickelt und gebaut wurden. Dass dies ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, ist zunächst dem Journalisten Joachim Specht zu verdanken. Notgedrungen sattelte der Schriftsteller Specht um, als nach der politischen Wende dessen Berliner Hausverlage abgewickelt wurden. Er verdiente sein Auskommen als freier Mitarbeiter beim Dessauer "Tageblatt". Die Zeitung schickte ihn nach Kapen und veröffentlichte Spechts Kapenberichte. Einen zusammenfassenden Beitrag über die Betriebsgeschichte stellte Specht für den Dessauer Kalender 1994 zusammen. Knallharte Fakten sind das. Mühsam recherchiert.
Doch Specht wäre wohl nicht Specht, hätte er das exklusive wie explosive Tatsachenmaterial nicht auch schriftstellerisch verarbeitet. Ein Verlag aus der Region beabsichtigte, die so entstandene Erzählung "Erblast" herauszugeben, kündigte allerdings 1994 den Vertrag. Die Thematik war wohl zu brisant gewesen. Die "Erblast" sollte dann in einem Berliner Verlag erscheinen, auch diese Zusage zerschlug sich. Daraufhin geriet das Manuskript in Vergessenheit.
Derweil gelang es Specht, und das trotz der komplizierten Lage auf dem Büchermarkt, im first minute Verlag sechs Taschenbücher zu veröffentlichen. Als siebtes Manuskript reichte er bei diesem Emsdettener Verlag seine alte "Erblast" ein, stieß auf Interesse und fand sie nun gedruckt. Seitdem heißt der Titel "Knalltrauma". Der Untertitel nennt sich unprosaisch "Erfindung und Verderben der Selbstschussanlagen SM-70". Im Buch geht es aber um weit mehr als um diese todbringenden Sprengkörper. Specht konstruierte ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht von Personen, baute die Figur des Schriftstellers Pippig ein, nicht zuletzt deshalb, um auch in andere Bereiche und Zeiträume vorzudringen. In Kapen war ja auch das Giftgas Lost produziert worden. Und der Autor verwickelt jenen Mitarbeiter, der das Knalltrauma erlitt, in eine unheilvolle Verbindung. Als diese ausgerechnet dessen Sohn aufdeckt, ergibt sich eine weitere, diesmal familiäre Erblast.
"Knalltrauma", Joachim Specht, first minute taschenbuchverlag, ISBN 3-932805-43-7, 175 Seiten, 14,90 Euro