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Mordprozess in Dessau-Roßlau Mordprozess in Dessau-Roßlau: Streit um Feinheiten

Von Thomas Steinberg 07.01.2014, 19:07
Die Leiche von Ulf M. wurde Anfang Januar 2012 in diesem Transporter gefunden. Ein Jahr später wurde der Prozess gegen fünf des Mordes angeklagte Litauer begonnen. Das Ende ist noch nicht abzusehen.
Die Leiche von Ulf M. wurde Anfang Januar 2012 in diesem Transporter gefunden. Ein Jahr später wurde der Prozess gegen fünf des Mordes angeklagte Litauer begonnen. Das Ende ist noch nicht abzusehen. PRivat Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Hermann-Josef Gerhards ist ein erfahrener Staatsanwalt, vertraut mit aufwändigen Verfahren. Und doch, so gab er vor einigen Wochen am Rande des Litauer-Prozesses zu, fehle ihm die Phantasie, was noch bis März geschehen solle. Wenige Tage später legte die zweite große Strafkammer des Landgerichts Dessau weitere Verhandlungstermine bis in den Sommer fest.

Schon als vor nunmehr fast einem Jahr das Verfahren wegen des Mordes an dem Münchner Ulf M. begann, war klar, dass dieses Verfahren kein schnelles Ende finden würde. Entscheidend dafür ist bislang die Strategie der Verteidigung, Anträge zu stellen. Ein solches Vorgehen gehört zum Handwerk jedes guten Verteidigers.

Anträge und Widersprüche

So weit, so normal. Was aber die Grenzen der Phantasie von Staatsanwalt Gerhards vermutlich sprengt, sind die Art der Anträge oder Widersprüche, von denen manche weder der Sachaufklärung dienen noch als Aufhänger für eine Revision zu taugen scheinen.

Erkennbar wird letzteres, wenn die Verteidigung keine einschlägigen Entscheidungen ins Feld führen kann, wie etwa zur korrekten Übersetzung einer polizeilichen Vernehmung. In einer solchen hat der Mitangeklagte S. die anderen vier teils schwer beschuldigt. S., so ließ sich der Dolmetscher in seiner Vernehmung ein, spreche erstens ein schlechtes Litauisch, das zweitens mit Knastjargon durchsetzt sei. Überträgt man S. Worte deshalb in fehlerhaftes Deutsch, wie geht man mit der Gaunersprache um? Eine 1:1-Übersetzung selbst von einer korrekt verwendeten Sprache in die andere ist schlicht unmöglich – heraus käme Kauderwelsch. Das Litauische etwa verwendet - ähnlich wie das Schwäbische - gern Verkleinerungsformen. Wenn aber S. von einem „Wäldchen“ spricht, in das Ulf M. verschleppt wurde, bedeutet das im Deutschen nicht zwangsläufig die Ansammlung von ein paar Bäumen, sondern oftmals Wald. „Wäldchen“ würde eine falsche Vorstellung erwecken.

Gutachten zur Übersetzung

Man wird also trefflich über die korrekte Übersetzung streiten können - ein Gutachten dazu ist bereits beantragt.

Ein anderes Beispiel für den anwaltlichen Antragseifer: Die mutmaßlichen Täter haben den verletzten und gefesselten Ulf M. im Laderaum des von ihm gemieteten Mercedes Sprinter zurückgelassen, wo er später an einer Lungenembolie starb. Die Verteidigung bemühte sich nun nachzuweisen, dass der Transportraum zumindest etwas beheizt war, weil die Täter den Motor hatten laufen lassen, und verlangte nach einem Gutachten. Das lieferte ein Experte, mit dem Ergebnis: die Wärme bleibt in der Fahrerkabine, der Laderaum wird nicht aufgeheizt.

Tod billigend in Kauf genommen?

Diese Diskussion zu beginnen, war möglicherweise ein taktischer Fehler der Verteidigung. Der Fachmann nämlich bestätigte nur die Erwartung des gesunden Menschenverstandes und die Erfahrung von Transporternutzern: ein Laderaum bleibt im Winter kalt. Das Argument, die Täter hätten sich um ihr Opfer gesorgt, dessen Unterkühlung und den Tod verhindern wollen, zieht nicht mehr, und juristisch ist es einerlei, ob Ulf M. nun an einer bei Durchschnittstemperaturen von fünf Grad erwartbaren Unterkühlung starb oder überraschend an einer Lungenembolie.

Was nach Haarspalterei klingt, könnte am Ende - sofern der Tatnachweis selbst gelingt - entscheidend werden. Haben die Täter mit Ulf M.’s Tod rechnen können? Haben sie seinen Tod billigend in Kauf genommen? Dann wäre eine Verurteilung wegen Mordes aus Habgier möglich, der bedingte Vorsatz ist unter Umständen ausreichend.

Vermutlich hatte die Staatsanwaltschaft jedoch bereits die Probleme des Mordvorwurfs geahnt und den Angeklagten „Raub mit Todesfolge“ vorgeworfen. Auch hier kann - wenig bekannt - wie bei Mord eine lebenslange Strafe verhängt werden. Der entscheidende Unterschied: es genügt, wenn der Tod leichtfertig verursacht wurde. Eines (bedingten) Vorsatzes bedarf es nicht.

Latte höher gehängt

Das Gericht hatte allerdings mit seinem Eröffnungsbeschluss die Anklage in Mord geändert. In der Öffentlichkeit mag das angesichts dieses Verbrechens als angemessener erscheinen - juristisch aber hat man die Latte damit höher gehängt. Allerdings: an diese Entscheidung ist das Gericht nicht gebunden. Es kann sie jederzeit ändern.